Sonntag, 18. Dezember 2016

Die Weihnachtsfeier

„Was ziehst du an?“ Ein Anruf von Margret.
„Natürlich was mit Seide, und Schmuck, endlich mal wieder“, antwortete Gerda.
„OK“
Sie waren zu viert verabredet, Johanna sollte die Plätze freihalten, sie war sowieso immer die Erste bei allen Veranstaltungen. So auch heute. Tapfer verteidigte sie die Plätze gegen den Ansturm, der kurz vor vier einsetzte. Cafeteria und Speisesaal waren zu einer Einheit zusammengefügt worden, es hatten sich fast zweihundert Bewohner des Hauses am Kirchberg zu ihrer jährlichen Weihnachtsfeier angemeldet.
„Na, endlich,“ rief sie, als Irmtraud endlich angerauscht kam. Natürlich auch sie in Samt und Seide. Sie nahm Platz und begutachtete als Erstes das Gebäck, das auf dem Tisch stand. Na, ja. Dann kamen auch Margret und Gerda, sie mussten mit dem Rücken zur Kapelle sitzen. Machte aber nix, sie wollten ja hören.  Nun wurde auch Kaffee eingeschenkt, die wievielte Tasse war das heute, fragten sich die Damen. Eigentlich mussten sie vorsichtig sein – mit über siebzig – weit über siebzig.


Der Lautsprecher röchelte, da bereitete sich was vor. Ja, der stellvertretende Direktor rüttelte am Mikrofon, tiptop in schwarz, wie es sich in diesem Haus gehörte. Ein paar warme Worte zur Adventzeit, zum Beschaulichen, zum Traditionellen zum Besinnlichen und so weiter. Die Glastüren schwangen auf, eine schwarz gewandete junge Dame schwebte herein, die Geige im Anschlag – witzelte Gerda. Aber wirklich schick die Garderobe. Was spielte sie? Was Passendes, keine Ahnung, was – murmelten die Damen; und – der Kaffee ist gut; und – dann kanns ja losgehen.

Es ging los. Mit Schwung. Waren das nicht Zigeunerklänge? Halt – durfte man das sagen: Zigeunerklänge? Margret guckte streng. Aber doch merkwürdig, war das nicht eigentlich eine Weihnachtsfeier? Na, abwarten, das kommt noch. Kam aber nicht. Ein Czardas jagte den anderen. Die Damen sahen sich an, sie waren platt – wie Johanna murmelte. Sie murmelte weiter: „Passen bestens hier ins Haus, die Musiker – alle haben weiße Haare.“ Johanna war stolz auf ihre eigenen weißen Haare.
Der Balkan war abgehakt, nach einer kleinen Atempause wurden Operettenklänge angekündigt.
„Sie dürfen gerne mitsingen,“ forderte der Stehgeier auf und zog noch eben seine Hose hoch. Sah unternehmungslustig aus, fand Johanna, die Sicht auf die Musikergruppe hatte. M i t s i n g e n ? „Sind wir hier bei einem Betriebsfest?“, fragte Irmtraud spitz.
Der Stehgeiger setzte noch einen drauf: “ Sie können auch gerne mittanzen, soweit es der Platz zulässt.“ Irmtraud verließ den Tisch Richtung Toilette, man hörte sie im Nebenraum hysterisch lachen. Das war der Raum, in dem die Rollatoren versammelt waren.
Zum Trost ein kleines vorweihnachtliches Dorf aus dem Erzgebirge:



Sonntag, 11. Dezember 2016

Der Neue

„Der sieht eigentlich ganz gut aus. Graue Haare, na, ja, das Übliche hier im Haus. Aber ein erstklassiger Haarschnitt. Auch die Klamotten, bestimmt teuer.“ Susanne legte ihren Kopf schief und hielt den Neuen fest im Auge. Er saß ein paar Tische entfernt, konnte die positive Beurteilung also nicht hören. Gerda hatte ihr schweigend zugestimmt und nickte immer noch mit dem Kopf. War sie so begeistert?
„Das finden auch andere hier im Haus. Habt ihr mitgekriegt, wie sie sich in der Cafeteria recken und strecken, um ihn an ihren Tisch zu bekommen?“ Auch Johanna hielt den Neuen fest im Auge, er war aber auch wirklich ein angenehmer Anblick.
„Ja klar, aber meistens geht er vorbei und setzt sich allein an einen Tisch. Soweit, dass sich Frau Meier einfach an seinen Tisch setzt, ist es ja noch nicht gekommen.“ Margret hatte keinen Blick auf den Tisch des Neuen, wusste aber anscheinend, dass Frau Meier besonders interessiert war.
„Der trau ich das auch gar nicht zu, eher schon Frau Müller, die hatte doch auch den Dicken von Haus B fest in ihre Hand bekommen. Schade nur, dass er …“ Gerdas Kopf nickte schon wieder - traurige Wahrheiten wurden selten ausgesprochen in der coolen Seniorenresidenz.
„Ja stimmt, sie bemutterte ihn ständig, ekelhaft.“ Susanne.
„Aber ihm wird’s wohl gefallen haben, sonst hätte er sich schon eher dünne gemacht – der Dicke.“ Elvira lachte schallend über ihren Witz, allerdings blieb sie damit allein. Sie war noch neu in diesem Kreis älterer Damen, die sich ab und zu zusammensetzten. Auch, um sich über Nachbarn und Nachbarinnen auszutauschen. Jetzt mischte sich Irmtraud ein, der Mittelpunkt dieser Runde.
„Was Frau Meier betrifft, so hat sie übrigens die Betreuung seiner Zimmerpflanzen übernommen. Das duldet er, weil er viel zu faul ist, sie selbst zu pflegen.“ Die anderen sahen sich schweigend an. Wie immer, Irmtraud wusste mehr. Sie genoss die Situation.
„Frau Müller ist noch nicht zum Zuge gekommen, obwohl sie schon zwei Mal mit einem Piccolo und zwei Gläsern vor seiner Wohnung gestanden hat. Auf ihr mehrfaches Klingeln hat er zwar geöffnet, die Einladung zum Sekt aber abgelehnt. Tür zu und Schluss.“
Peinlich, fanden alle. Tsss, tsss und Kopfschütteln.
„Wer übrigens auch sehr interessiert ist“, Irmtraud machte eine Kunstpause und blickte in die Runde, dann nahm sie Susanne aufs Korn und lächelte maliziös. „Irgendwer möchte sich mit ihm über die Schönheiten Gran Canarias austauschen.“ Stille. Alle wussten Bescheid.
Susanne holte tief Luft, und:“ Und das erzählt er dir wohl, wenn du ihm jeden Morgen deine Zeitung zu bringst?“


Wenn Blicke töten könnten.