Pünktlich um drei saßen sie
wieder auf den bequemen Sesseln mit dem üppigen Rosenmuster und nickten sich freundlich
zu.
„Geht es dir gut, Johanna?“
„Ja, doch, heute geht es mir gut.“
„Und du, Margret?“
„Bestens, wie immer.“
„Und fragt mich mal,“ sagte Irmtraud.
„Na?“
“Super gut! Mir ist eingefallen, wie wir uns ein bisschen Abwechslung
verschaffen können.“
„Und?“, fragte Johanna.
„Tod der Langeweile, Schluss mit unserem biederen Dasein, wir werden mal was
Neues versuchen“, sagte Irmtraud.
Niemand sagte nein oder oh je oder fragte: was denn?
Wenn Irmtraud etwas vorschlug, dann hatte es gewöhnlich Hand und Fuß.
„Wo ist eigentlich Susanne?“, fragte Margret.
„Fehlt entschuldigt“, sagte Irmtraud.
Es schien, als wäre Irmtraud die Anführerin dieser Girlgroup. Teure Kleidung,
teurer Schmuck, teure Friseur. Nicht diese uniformen Locken vom Hausfriseur.
Bob mit Strähnchen auf blondem Grund. Gefärbt? Dafür nahm sie eine Fahrt in die
Stadt in Kauf. Wöchentlich.
Johanna, ein paar Jährchen älter, legte nicht mehr so viel Wert auf
Äußerlichkeiten. Dafür war sie die mit der „soliden Halbbildung“, eigene
Angabe. Was Untertreibung war, denn sie war Bibliothekarin gewesen und weit
gereist. In einem früheren, weit zurückliegenden Leben. Auf ihre Haare war sie
und konnte sie stolz sein. Weiß, üppig, gut geschnitten.
Margret lag altersmäßig dazwischen, ebenso frisurmäßig, geföhnt aber fieses Grau.
Ihre Kleidung war eher sportlich-elegant.
Zu erwähnen wäre noch, dass Irmtraud, ihrem spießigen Namen zum Trotz,
Schauspielerin gewesen war. Nicht bis zur Rente, nein, sie hatte irgendwann den
Absprung in ein Leben als Gattin geschafft.
„Ihr kennt doch alle den Film ‚Arsen und Spitzenhäubchen, oder?“, ergänzte
Irmtraud ihre Ansage.
„Jaaa …“, antwortete Johanna, ganz vorsichtig. Margret nickte.
„Na und, wäre das nichts für uns?“, Irmtraud.
„Mooord?“, Johanna.
„Und dann freuen wir uns auf ein paar Jährchen Knast, bis zum bitteren Ende.“
Woher hatte Margret den Ausdruck „Knast“?
„Aber wir werden uns doch nicht erwischen lassen. Wir planen, führen durch und geben
uns gegenseitig ein Alibi“, Irmtraud.
Hatte sie zu viel Fernsehkrimis gesehen oder vielleicht heimlich bei einem
mitgespielt?
„Und was hätten wir davon?“, fragte Johanna.
„Jedenfalls etwas weniger Langeweile. Wir können ja erst einmal mit
Kleinigkeiten anfangen“, Irmtraud.
„Und was ist das, ein kleiner Mord? So was wie ein bisschen schwanger?“ Johanna,
skeptisch wie immer, bemüht witzig.
„Mordversuch.“
„Das muss dann aber hinterrücks passieren, sonst verrät uns das Opfer und alles
ist aus“, Margret, die gern praktisch dachte.
„Am besten Gift, das sieht dann vielleicht aus wie Norovirus“, Johanna wurde
kühner.
„Wir müssen eben gründlich nachdenken. Vielleicht könnten wir ja auch mit einem
kleinen Diebstahl anfangen,“ Irmtraud.
Sie hatte wohl nicht darüber nachgedacht, wie man Leichen verschwinden lassen
kann. Große Truhen hatte keine von ihnen mit in ihr Altersdomizil gebracht.
Allerdings, bei Noroviruserkrankung wurde die Leiche ganz legal entsorgt. Was
für ein hässlicher Gedanke von einer so reizenden Dame.
„Geld? Sachen? Autos geht nicht“, kicherte Margret.
„Vielleicht ein paar von den Rosenstöcken aus dem Garten“, schlug Johanna vor, wieder
bescheidener.
„Nein, wir müssen groß denken, sonst macht es keinen Spaß. Das Wichtigste ist
doch das Planen.“
Ja, das war richtig, fanden auch Johanna und Margret.
„Also bis morgen um drei, jede mit einem Plan, auch Susanne wird da sein, die
weihe ich gleich ein“, Irmtraud nahm das Heft in die Hand.
Tag zwei auf den
rosengeblümten Sesseln. Nun mit Irmtraud, Johanna, Margret und Susanne. Heute
keine Befindlichkeitsabfrage. Unnötig, alle waren von neuen Ideen belebt.
„Meine Damen, ich hoffe, ihr habt alle nachgedacht, womit wir beginnen
könnten“, begann Irmtraud. Heute mit einer brennend roten Jacke bekleidet. Ein
Signal.
„Fang du an, Johanna.“
„Was soll ich sagen, ich habe natürlich nachgedacht, den Giftmord möchte ich
erst mal zurückstellen, ich möchte mit etwas Harmloseren anfangen.“
„Doch nicht mit dem Rosenklauen?“, lästerte Susanne, offensichtlich von Irmtraud
informiert. Sie war die Jüngste in der Runde, früher mal Beamtin, immer schon
alleinlebend. Immer noch Blazerträgerin. Ungefärbt blond, fade, entsprechend
fade ihre Frisur. Vom Hausfriseur.
Johanna blickte etwas schräg auf Susanne, die Liebe zueinander hielt sich in
Grenzen.
„Ich hatte schon an etwas Größeres als Rosen gedacht, vielleicht einen der
großen Pflanztöpfe aus der Halle.“
„Und wo willst du den hinstellen, so groß ist deine Wohnung doch gar nicht“,
schon wieder Susanne. Sie wusste, wie man jemand kränken kann.
Johanna bewohnte ein Ein-Zimmer-Appartement, allerdings von der größeren Sorte.
Susanne hingegen thronte auf der siebten Etage in drei Zimmern. So etwas war
nicht zu toppen. Nicht mal Irmtraud konnte da gleichziehen. Zwar auch drei
Zimmer, aber im Anbau mit Blick auf die Straße. Niemand, niemand wollte an der
Straße wohnen. Der Autoverkehr. Wie es dazu kommen konnte, dass Irmtraud die
Wohnung genommen hatte? Witwe, Oberschenkelhalsbruch. Da war Eile geboten. Nun
ja, immerhin drei Zimmer.
Woher Susanne das Geld für ihre hohe Miete hatte, war allen ein gern
diskutiertes Rätsel. Man verstieg sich sogar zu der Vermutung: Lotto. Susanne
war schweigsam, und geizig, daher auch der Hausfriseur.
„Schluss jetzt, mach du weiter, Margret“, Irmtraud.
Margret war das gar nicht recht, die Stimmung war überhaupt nicht positiv. Da konnte
sie nicht so frei reden, wie sie wollte.
„Margret, bitte!“
„Ich hatte an etwas im Zusammenhang mit der Bank und mit Geld gedacht“, kam es
sehr zögerlich und forderte natürlich gleich Widerspruch heraus.
„Ist etwas vage, liebe Margret“, urteilte Irmtraud und alle nickten. Margret
bewohnte übrigens zwei Zimmer, lag also wie bei vielem anderen in der Mitte.
„Wir wollten uns doch die Zeit damit vertreiben, dass wir über alles
nachdenken, da muss ich ja wohl nicht am zweiten Tag mit einem voll ausgearbeiteten
Plan zur Stelle sein“, reden konnte Margret ja. Kein Wunder, wenn man als
Geschäftsfrau seine Waren an den Mann bringen musste, murmelte Susanne.
„Ja gut, jetzt du liebe Susanne“, forderte Irmtraud die dritte im Bunde auf.
Susanne fuhr sich mit beiden Händen durch ihren blonden Haarschopf, so sah sie
es selbst, holte tief Luft und begann recht großartig:
„Ich denke an Sachbeschädigung.“
„Aller Anfang ist schwer“, lästerte jetzt Johanna.
„Ich werde ein Kuchenpaket mit mindestens sechs Stücken mitten in der Halle
fallen lassen. Das gibt einen Aufstand.“
„Hoffentlich hast du eine gute Haftpflichtversicherung“, meinte Margret, die
den verhunzten Teppichboden vor sich sah. Alle fragten sich, wieso die geizige
Susanne sechs Stücke Kuchen zu Brei machen wollte und alle dachten: Quatsch.
Erst einmal Ruhe und Johanna fragte:
„Und du, liebe Irmtraud? Was dürfen wir von dir erwarten?“
„Ich nehme deine Idee auf, liebe Johanna: Mord.“
Ein starkes Wort. Eine starke Tat. Ein starkes Stück eigentlich, so etwas
vorzuschlagen, sie sollten doch sicher alle mitwirken, zumindest als Alibi zur
Verfügung stehen.
„Na ja, noch nicht gleich morgen. Wir müssen doch erst ein Opfer aussuchen.
Jede hat einen Vorschlag.“
Stille.
Weiterhin Stille.
Margret raffte sich auf: „Nein, das kann ich nicht.“
Irmtraud: „Du sollst es ja auch nicht tun. Ich mache es.“
Johanna: „Aber wir sollen jemanden zum Tode verurteilen.“
Susanne: „Nun nicht gleich so dramatisch, es kann ja auch ein gutes Werk sein.“
Das war bedenkenswert. Wie viele sprachen am Mittagstisch von Sterbehilfe.
Erwünschter Sterbehilfe. Wenn man sich da einmal umhörte …
„Nein, nein, das geht nicht, ich kann nicht.“
„Aber man erwischt uns doch nicht, wenn wir es richtig machen.“
„Aber ich weiß es. Ich mache nicht mit. Punkt. Schluss.“ Margret stand auf und
sah aus, als wollte sie flüchten. Blieb aber dann doch stehen.
Irmtraud versuchte, sie zum Bleiben zu bewegen:
„Setz dich doch wieder hin, trink erst mal deinen Kaffee aus. Wir müssen ja
auch nicht unbedingt mit dem, hm, hm, Schwersten anfangen.“
Streit war das letzte was Margret wollte, sie setzte sich wieder hin und trank
tatsächlich den Kaffee aus, kalt geworden, sie merkte es nicht mal.
Aber die Luft war raus, es kam keine weitere Diskussion in Gang.
„Also morgen um drei wieder und einen schönen Tag noch“, endete Irmtraud gänzlich
ironiefrei.
Am Tag drei kamen die vier
Damen recht zögerlich zu ihrer Sesselrunde.
Susanne starrte Johanna an:
„Und was machst du nun mit den Rosensträuchern?“
Fragende Blicke aus der Runde. Johanna wirkte verdutzt:
„Wie meinst du das, die Idee habe ich doch fallen lassen.“
„Die Idee vielleicht, aber die Rosensträucher sind weg.“
Stille.
„Was sagst du da, Susanne, welche Rosensträucher?“
„Das können wir gleich gemeinsam besichtigen. Das fällt ja nicht auf, wenn
ältere Damen Rosensträucher betrachten. In dem Fall allerdings fehlende, also
Löcher.“
Ziemlich triumphierend blickte Susanne in die Runde.
Aber die zweite Runde Kaffee kam, ein Stück Kuchen dazu.
„Guten Appetit“, triumphierte Susanne weiter.
„Ich war’s nicht“, sagte Johanna. Kaffeedurst hatte sie plötzlich keinen mehr.
Es drängte sie, hinaus zu gehen und zu inspizieren. Gedacht, getan, sie sprang
auf und lief vor die Tür. Die anderen blieben sitzen, es wäre zu auffallend
gewesen, wenn sie alle vier hinausgestürmt wären.
„Sie sind weg, drei oder vier, mindestens“, Johanna war wieder da, atemlos,
wovon war nicht ganz klar. „Aber ich habe sie nicht.“
Mit so etwas hatte man natürlich nicht gerechnet, dass man ihnen ihre Ideen
klauen würde. Oder hatte Johanna die Nerven, sie anzulügen? Aber warum, sie
hatten doch gemeinsam etwas „unternehmen“ wollen. Da konnte sie doch eigentlich
stolz sein, dass es geklappt hatte. Diese Gedanken wurden wohl in drei Hirnen
gewälzt. Nur in Johannas Gehirn war es ganz leer. Was nun?
Nach einer längeren Pause ergriff endlich Irmtraud das Wort:
„Wie auch immer, spannend war das jetzt schon und darum ging es uns ja.“
„Gut, also morgen um drei, falls ihr alle könnt.“
Am Tag vier wussten alle schon
Bescheid. Frau Fischer von der Rezeption war niedergeschlagen und beraubt worden.
Erkannt hatte sie niemanden. Weg war die kleine Kasse, in der die Gelder für
Veranstaltungen im Haus geschlummert hatten.
Als Frau Guntermann zur Rezeption gekommen war, fand sie niemanden vor, was
ungewöhnlich war. Guckte dann, warum wusste sie nicht zu sagen, über den
Tresen, wie sie es nannte, und sah – Frau Fischer, am Boden liegend, leise
stöhnend. Der Leiter des Hauses wurde herbeigerufen, rief seinerseits aber
weder den Notarzt noch gar die Polizei, sondern nahm Frau Fischer mit in sein
Büro.
Die Gerüchte waren allerdings nicht mehr einzufangen.
Die bequemen Sessel mit dem
rosengeschmückten Bezug aus teurem Brokat blieben leer. Man stand lieber.
„Margret!!“
„Jaaaa.“
„Es war deine Idee.“
„Ja, das ja, aber …“
„Gut, morgen dann.“
Niemand hatte am Tag fünf Lust
auf die blumenbedruckten Brokatsessel in der weitläufigen Halle.
Auf der Anfahrt vor der Eingangstür standen Polizeiautos mit blitzenden
Lichtern und offenen Türen.
Wo – war - Irmtraud?