Samstag, 23. September 2017

Er rollt und rollt - der Rollator

„Niemals!“, sagte Opa Heinrich und schlug mit der Faust auf den Tisch. 
„Aber warum denn nicht?“ Die Enkelin bemühte sich um einen ruhigen, sachlichen Ton. „Alle loben den Rollator als die Erfindung des Jahrhunderts.“ 
 Das war vielleicht ein bisschen übertrieben. Aber seit die gehbehinderte Schwedin Aina Wifalk 1978 den Rollator in der modernen Form geschaffen hat, hat dieser eine steile Karriere durchlaufen. Denn er ist eine echte Erleichterung und trägt viel zur Mobilität von alten Menschen bei. 
 „Der Arzt hat ihn dir doch wegen deiner Knieschmerzen empfohlen und wenn er ihn verschreibt, bezahlt ihn sogar die Krankenkasse. Wenigstens zum Teil.“ 
“Niemals!“, donnerte Heinrich. „So ein Fahrgestell ist etwas für alte Leute. Für Greise.“
„Und du bist mit deinen 85 Jahren noch nicht alt?“ Die Geduld der Enkelin war langsam erschöpft. 
 „Ich bin auf jeden Fall nicht so alt, dass ich mich mit so einem Ding lächerlich mache.“ 
 „So ein Quatsch!“ Die Enkelin fächerte mit einigen Blättern, die sie im Internet ausgedruckt hatte, vor Opas Gesicht. „Hier steht, dass allein in Deutschland im Jahr 2016 bis zu drei Millionen mit einem Rollator unterwegs waren. Inzwischen sind es bestimmt noch mehr. Und alle sind zufrieden – und niemand macht sich lächerlich.“ 
 „Das sind bestimmt alles „alte Wiever“. Zu denen passt so ein Kinderkram.“ Opa schnaufte. „Aber nicht zu staatse Männ in den besten Mannesjahren.“ Er warf sich in die Brust.
Die Enkelin musste zugeben, dass es in der Stadt meist Frauen waren, denen man mit dem Rollator begegnete. „Aber nur, weil die Männer nicht zu ihrem Alter stehen. Und eitel sind!“ Bevor Opa sich wieder aufregte, verließ sie rasch das Zimmer. Bloß keinen Streit eskalieren lassen. 
 Etwas später verließ Opa mit seinen zwei Gehstöcken das Haus. Er brauchte frische Luft. Mühsam schleppte er sich bis zum nahen Park und ließ sich erschöpft auf die erste Bank nieder. Das verdammte Knie! 
 Plötzlich stand ein Mann vor ihm. „Hi Heinrich, altes Haus“, grüßte dieser lässig den ehemaligen Kollegen. Heinrich kriegte vor Überraschung zuerst den Mund nicht auf und dann nicht zu. Der Ex-Kollege stützte sich doch tatsächlich auf einen Rollator. „Mein Mercedes“, stellte er grinsend vor. Und schon erläuterte er Bremsen und Lenkmanöver, Leichtigkeit und Standfestigkeit, Transport und Zusammenklappen . „Das Schönste jedoch ist, dass mich laufend Damen mit Rollator ansprechen und die lade ich dann ein - und dann – wie das halt so ist im Alter.“ „Und dann?“ Heinrich war neugierig geworden. Stille. Der Kavalier genießt und schweigt. „Nun sag schon“, bat Heinrich jetzt. „Also gut. Dann, dann rollen wir gemeinsam durch den Park.“ 
 Die beiden Männer beschlossen, ihr Zufallstreffen in einem nahen Café zu beschließen. Und dort kam Heinrich nicht aus dem Staunen heraus. Hier schien ein richtiges Rollatoren-Treffen zu sein. Mehrere Damen hatten ihr Vehikel abgestellt und schlürften selig ihren Kaffee. Und alle kannten den Kollegen, grüßten, winkten ihm zu. Die Damen waren zwar nicht mehr taufrisch, aber alle waren gut drauf. 
„Bist du schon mit all diesen Damen gerollt?“ staunte Heinrich. Der Kollege grinste und schwieg
Als Heinrich nach Hause kam, war die kleine Auseinandersetzung von vorhin vergessen. Die Stimmung schien gelockert, und Heinrich war es auch. So ganz nebenbei meinte er zu seiner Enkelin: „Ich habe mir das nochmal überlegt mit dem Rollator. Wäre vielleicht gar nicht so verkehrt.“
Woher dieser Sinneswandel kam, verriet er allerdings nicht. Der Kavalier genießt und schweigt.
Sophie Lange





Sonntag, 17. September 2017

Frau Dingsda

Es ist ein milder Abend nach einem heißen Tag. Den will Mariechen noch genießen, setzt sich auf die Bank vor dem Haus und träumt vor sich hin. Doch bald ist es aus mit der Ruhe. Die Nachbarin steht vor ihr und reißt sie aus ihren Träumen. Und schon schnattert diese los. Alles so ein Tratsch aus der Nachbarschaft. Mariechen schaltet auf Durchzug.
Heute habe ich in der Stadt die Frau – ähm – die Frau Dingsda getroffen. Weißt du, die früher im Eckhaus gewohnt hat.“ Ja, Mariechen erinnert sich. Die trug noch immer eine Kittelschürze, als diese schon lange aus der Mode war. „Wie heißt die denn noch mal?“, will die Nachbarin wissen. Mariechen überlegt, aber ihr will der Name nicht einfallen, obwohl sie ihn sicher hundert Mal gesagt hat.
Ach diese Plage, dass man immer die Namen vergisst“, seufzt die Nachbarin.
Das hat mit dem Alter zu tun“, erklärt Mariechen. „Da wird man vergesslich."
Nee, nee“, wehrt sich die Nachbarin. „Mein Neffe ist kaum 40 und der vergisst auch immer alle Namen. Er muss sich diese stets aufschreiben.“ Beiderseitiges Kopfnicken. „Mir liegt der Name auf der Zunge!“, wieder die Nachbarin, “aber er will nicht raus.“Hieß die nicht Frau Groß“ kramt Mariechen in ihrem Gedächtnis.
„Nee, nee“, die Nachbarin wieder. „Die ist zwar groß, aber die heißt nicht Groß. Ganz bestimmt nicht!“
Die beiden Damen wechseln das Thema. „Was kommt denn heute im Fernsehen?“ Gemeinsames Überlegen.
Spät am Abend. Mariechen hat Fernsehen geguckt. Irgendeinen Krimi. Wie hieß der doch gleich? Ist ja auch unwichtig. So was muss man sich nicht unbedingt merken. Das weiß das Gehirn ganz genau und legt die Information auf Eis in irgendeiner Gehirnecke. Mariechen brüht sich ihren Schlaftee auf und setzt sich gemütlich auf die Couch. Da geht das Telefon. Wer ist das denn noch!
Sie nimmt den Hörer ab und da tönt es ihr auch schon lautstark entgegen. „Ich bin et nur!“ Die liebe Nachbarin.
„Ist was passiert“, fragt Mariechen erschrocken.
„Nee, nee, aber ich weiß jetzt wie die Frau vom Eckhaus heißt. Ist mir eben eingefallen.“ Und sie beginnt wieder ihr Parlieren im Schnelltempo. „Also, ich war noch ein paar Teller am abwaschen am tun, dachte an dies und das oder besser gesagt an gar nix, da macht es plötzlich klick und da fiel mir der Name schnaggewesch wieder ein.“
Ja, das Gehirn arbeitet weiter, kramt in allen „Schubladen“, in denen irgendwelche unwichtigen Dinge abgelegt wurden und dann - plötzlich – schwupps, alles klar. Ja, verloren geht nichts im Kopf.
Und wie ist der Name“, will Mariechen nun endlich wissen. „Sag schon, mach et nit so spannend."
Die Nachbarin macht eine Pause, es muss ja richtig spannend sein und erst nach einigem Räuspern gibt sie das Geheimnis preis: „Die heißt Kleinschmidt!“
Kleinschmidt“, wiederholt Mariechen. „Ja richtig! Kleinschmidt! Ich habe ja gleich gesagt, dass es etwas mit „Groß“ zu tun hat."
Sophie Lange