gesucht und gefunden von Sophie Lange
Am Martinsabend von C. (Clara) Viebig,
Erstveröffentlichung 1894, Auszug
in: Memoiren-Correspondenz Berlin, 8. November 1920
Die ganze Stadt duftete nach
Leinöl und Schweineschmalz. In jedem Hause, reich oder arm, in jeder Küche, vornehm
oder gering, brodelten sie in der Pfanne,
die runden kleinen Kuchen aus Buchweizenmehl; nur sind bei den Reichen
mehr Korinthen drauf gestreut und bei den Armen sitzen sie vereinzelt im Teig,
wie Fliegen im Winter! Herrlicher Anblick, wenn so ein Kuchen ins siedende Fett
fällt, sich dehnt und aufgeht und knusprig bräunt - das Wasser läuft einem im
Munde zusammen!
Für eine Kindernase am Niederrhein gibt’s keinen köstlicheren Geruch als den
des Buchweizenpuffers. Rosen und Nelken sind gar nichts, und selbst kein
anderer Kuchen, und sei er noch so dick mit Zucker bestreut oder mit Schokolade
begossen, kann dagegen aufkommen. So ein richtiger rheinischer Puffer hat eben
seinen ganz besonderen Duft – 's ist Poesie drin. Wenn er in der Pfanne liegt,
dann schnuppern die lüsternen Näschen zur Küchentür herein, und vor dem
glänzenden Kinderauge tanzen farbige Papierlaternen und ausgehöhlte Kürbisse
mit brennenden Lichtlein, und in den Ohren klingt eine süße kleine Melodie:
„Lustig, lustig, trallalla! Heut ist Martins – Abend da!“
In den Straßen der Stadt wogt und drängt es zur Abendstunde – hilf Himmel, was
gibt es für eine Unmenge Kinder! - und jedes von ihnen trägt eine Papierlaterne
oder einen Kürbis am langen Stock und schwenkt den und hält ihn hoch, damit
kein böser Störenfried komme und das Lichtlein ausblase. Eine Schar lustiger
Buben kommt das Trottoir entlang: „Platz da!“ sie blasen den Mädchen die
Laternen aus und schreien ihnen ins Ohr:
„Cintmäten, Cintmäten!
Die Junges sind Rabbauen,
Die Mädchen wollen mer hauen;
Die Junges trinken roten Wing,
Die Mädels schmeißen mer in den Rhing.
Cintmäten, Cintmäten!“
Und die kleinen Evastöchter,
nicht faul, antworten:
„Die Mädels trinken weißen Wing,
Die Junges schmeißen mer in den Rhing,
Cintmäten, Cintmäten!“
Im Nu sind die Laternen
wieder angezündet, ein freundliches Schieben und Stoßen, helles Lachen ertönt –
und fort geht’s an den hohen Häusern vorbei zum Marktplatz, wo der alte
Kurfürst Jan Willem auf steinernem Ross sitzt und gravitätisch die Rechte in die
Seite stemmt. An der Alongeperücke hocken verscheuchte Spatzen; trotz aller
angeborenen Dreistigkeit sind sie erschrocken und gucken mit den verschlafenen
Vogeläugelchen ängstlich hinunter auf das Gewoge: Rote Sterne, blaue Sterne,
gelbe Sonnen, grüne Monde, liebliche Tulipanen und schreckhafte
Fratzenlaternen, dicke Kürbisse mit wunderlich eingeritzten Gesichtern. Alles
kribbelt und wibbelt durcheinander, und ganz in der Ferne kommt's an wie
glühende Pünktchen, wie Leuchtkäferchen am dunklen Straßenende, wie eine
glitzernde Schlange zieht's daher – und nun ist eine andere Schar da, und das
alte Lied erklingt aufs Neue, und die fröhlichen Stimmen umtosen den gestrengen
Jan Willem und die hurtigen Füße umtanzen seine kurfürstlichen Gnaden, dass der
schier vom hohen Pferd herunter steigen möchte, wenn er nur nicht so ein
versteinertes Mannsbild wäre.
Clara Viebig, Dichterin
• * 18. Juli 1860 in Trier
• von 1868 bis 1883 wohnhaft mit ihren Eltern in
Düsseldorf, Am Schwaenmarkt
• ab 1883 in Berlin
• + 31. Juli 1952 in Berlin
• beigesetzt auf
dem Nordfriedhof in Düsseldorf, im Grab ihres Vaters
Heinrich Hermann, 1905, Wikipedia gemeinfrei