Sonntag, 10. November 2019

Am Martinsabend



gesucht und gefunden von Sophie Lange


Am Martinsabend von C. (Clara) Viebig,
Erstveröffentlichung 1894, Auszug
in: Memoiren-Correspondenz Berlin, 8. November 1920



Die ganze Stadt duftete nach Leinöl und Schweineschmalz. In jedem Hause, reich oder arm, in jeder Küche, vornehm oder gering, brodelten sie in der Pfanne,  die runden kleinen Kuchen aus Buchweizenmehl; nur sind bei den Reichen mehr Korinthen drauf gestreut und bei den Armen sitzen sie vereinzelt im Teig, wie Fliegen im Winter! Herrlicher Anblick, wenn so ein Kuchen ins siedende Fett fällt, sich dehnt und aufgeht und knusprig bräunt - das Wasser läuft einem im Munde zusammen!
Für eine Kindernase am Niederrhein gibt’s keinen köstlicheren Geruch als den des Buchweizenpuffers. Rosen und Nelken sind gar nichts, und selbst kein anderer Kuchen, und sei er noch so dick mit Zucker bestreut oder mit Schokolade begossen, kann dagegen aufkommen. So ein richtiger rheinischer Puffer hat eben seinen ganz besonderen Duft – 's ist Poesie drin. Wenn er in der Pfanne liegt, dann schnuppern die lüsternen Näschen zur Küchentür herein, und vor dem glänzenden Kinderauge tanzen farbige Papierlaternen und ausgehöhlte Kürbisse mit brennenden Lichtlein, und in den Ohren klingt eine süße kleine Melodie: „Lustig, lustig, trallalla! Heut ist Martins – Abend da!“
In den Straßen der Stadt wogt und drängt es zur Abendstunde – hilf Himmel, was gibt es für eine Unmenge Kinder! - und jedes von ihnen trägt eine Papierlaterne oder einen Kürbis am langen Stock und schwenkt den und hält ihn hoch, damit kein böser Störenfried komme und das Lichtlein ausblase. Eine Schar lustiger Buben kommt das Trottoir entlang: „Platz da!“ sie blasen den Mädchen die Laternen aus und schreien ihnen ins Ohr:


„Cintmäten, Cintmäten!
Die Junges sind Rabbauen,
Die Mädchen wollen mer hauen;
Die Junges trinken roten Wing,
Die Mädels schmeißen mer in den Rhing.
Cintmäten, Cintmäten!“



Und die kleinen Evastöchter, nicht faul, antworten:

„Die Mädels trinken weißen Wing,
Die Junges schmeißen mer in den Rhing,
Cintmäten, Cintmäten!“



Im Nu sind die Laternen wieder angezündet, ein freundliches Schieben und Stoßen, helles Lachen ertönt – und fort geht’s an den hohen Häusern vorbei zum Marktplatz, wo der alte Kurfürst Jan Willem auf steinernem Ross sitzt und gravitätisch die Rechte in die Seite stemmt. An der Alongeperücke hocken verscheuchte Spatzen; trotz aller angeborenen Dreistigkeit sind sie erschrocken und gucken mit den verschlafenen Vogeläugelchen ängstlich hinunter auf das Gewoge: Rote Sterne, blaue Sterne, gelbe Sonnen, grüne Monde, liebliche Tulipanen und schreckhafte Fratzenlaternen, dicke Kürbisse mit wunderlich eingeritzten Gesichtern. Alles kribbelt und wibbelt durcheinander, und ganz in der Ferne kommt's an wie glühende Pünktchen, wie Leuchtkäferchen am dunklen Straßenende, wie eine glitzernde Schlange zieht's daher – und nun ist eine andere Schar da, und das alte Lied erklingt aufs Neue, und die fröhlichen Stimmen umtosen den gestrengen Jan Willem und die hurtigen Füße umtanzen seine kurfürstlichen Gnaden, dass der schier vom hohen Pferd herunter steigen möchte, wenn er nur nicht so ein versteinertes Mannsbild wäre.



Clara Viebig, Dichterin

       * 18. Juli 1860 in Trier

       von 1868 bis 1883 wohnhaft mit ihren Eltern in Düsseldorf, Am Schwaenmarkt

       ab 1883 in Berlin

       + 31. Juli 1952 in Berlin

        beigesetzt auf dem Nordfriedhof in Düsseldorf, im Grab ihres Vaters

Heinrich Hermann, 1905, Wikipedia gemeinfrei   




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