Sonntag, 31. Dezember 2017

Bilanz

In diesem Jahr sind die Besucherzahlen erfreulich angestiegen. Ich bin sicher, dass das vor allem auf die Artikel von Sophie Lange zurückzuführen ist. Ich bin also sehr froh, dass ich sie gewinnen konnte, bei den Seniorengeschichten mitzuwirken.
Ich wünsche allen Besucherinnen und Besuchern einen guten Übergang ins neue Jahr. Und für das ganze Jahr 2018 vor allem Gesundheit - wir sind ja alle Senioren - und ein fröhliches Herz.

Mittwoch, 27. Dezember 2017

Zwischen den Jahren


Es war still im Wald, kein Laut, kein Geräusch in dem Tal, das der Volksmund „im Paradies“ nennt. Eine heilige Stille oder eine unheimliche Stille? Und doch war da ein geheimnisvolles Flüstern, ein fremdartiges Wispern. Es schien hoch oben aus den Baumwipfeln zu kommen. Oder noch höher aus unvorstellbaren Sphären, fern von Raum und Zeit.

Es war die Zeit zwischen den Jahren vom 24. Dezember bis 6. Januar und in dieser Zeit der 12 Raunächte geschieht so allerhand Mysteriöses zwischen Himmel und Erde. So wurde aus dem Flüstern allmählich ein Säuseln und Rascheln, ein Sausen und Brausen, ein Raunen und schließlich ein durchdringendes Spektakel. Dann ein schrilles Gekreische und ein ausgelassenes Getöse. Jetzt war es klar. Es wurde zur wilden Jagd aufgerufen. Einen Flashmob würde man das heute nennen, ein Treffen, zu dem in den sozialen Netzwerken aufgerufen wird und zu dem sich immer mehr Menschen einfinden. Doch es waren keine Menschen, die da polternd in den Lüften zusammenkamen, sondern Geister, alles was die Geisterwelt zu bieten hat.

Zunächst war da ein stolzer Ritter auf einem noch stolzeren Ross. Wotan höchstpersönlich, der germanische Gott und Heeresführer; ihm zur Seite ruhmreiche Ritter, wilde ewige Jäger, grausige Höllengeister, knochenbleiche Schreckgespenster, gefräßige Werwölfe, teuflische Nachtmahre, gefallene Engel sowie Dämonen mit blutroten funkelnden Augen. Es folgte die große Schar der unerlösten Seelen, die Untoten, die sich mit stampfenden Beinen und rudernden Armen von der Erde in den Himmel hochschraubten.

Zwischen den Geistern treiben einige tierische Ungeheuer ihr Unwesen:  kläffende schwarze Hunde, heulende Rauhnachtswölfe, grässliche  Geistergäule, furchteinflößende Drachen und Einhörner, krächzende Raben, Monster aller Couleur.  Peitschen knallen, Befehle bellen, ein Gekreische und Geschreie, die reinste Kakofonie. 

Und dann erscheint sie: die Göttin in Himmel und auf Erden: Frau Holle, die Perchte, mit ihrem Frauenheer, unüberschaubar groß: verzauberte Prinzessinnen in rauschender Seide, wilde Amazonen auf feurigen Rossen, furchterregende Hexen auf sperrigen Besenstielen, bereit zum gestelzten Lufttanz. Wotan begrüßt die Göttin und ihr Gefolge ehrfurchtsvoll.

Die Unruhe wird immer ungezügelter und endlich bei der ersten fernen Dämmerung gibt Wotan das Zeichen zum Aufbruch. Die wilde Jagd beginnt. „Im Paradies“ wird die Luftstille zu einem Wind, der Wind entwickelt sich zum Sturm, die Sturmböen explodieren in einen Orkan. Das wilde Heer jagt über den Himmel, lässt die Erde erbeben, die Menschen erzittern.

Einige Späher beobachten genau, was sich auf der Erde tut. Halten die Menschen sich an die uralten Überlieferungen, die in der Zeit vom 24. Dezember bis 6. Januar beachtet werden müssen? Erstes Gebot: Absolute Ruhe! Alle Aktivitäten haben zu unterbleiben. Die Geister haben allein das Sagen. Die Menschen sollen das alte Jahr überdenken und sich auf das neue Jahr vorbereiten. Doch da! Da spaltet doch tatsächlich ein Mann Holzscheite auf dem Holzklotz. Einige Geister erhalten einen Wink von Wotan und schon sausen sie runter zur Erde, umkreisen den Mann mit Gebrüll, reißen ihm die Axt aus der Hand, den Hut vom Kopf. Er flüchtet ins Haus. Schnell zündet er eine Kerze an, stellt sie ins Fenster. Hoffentlich kann er damit die Geister besänftigen.

Alle Häuser, in deren Fenster eine Kerze leuchtet, werden von der wilden Jagd verschont. So sagt es der Volksmund. Die meisten Menschen befolgen das Gebot; manche meinen es besonders gut, sie lassen ihr Haus von einem ganzen Lichtermeer anstrahlen. Ach, diese Menschen, sie müssen immer übertreiben. Das gefällt Wotan überhaupt nicht. „Blast die Lichter aus“, befiehlt er mit zorniger Stimme.  Aber diese lassen sich nicht auspusten. Und so toben die Wilden durch die Glühbirnen, durch die Kabel, hinterlassen ein wüstes Chaos, bis das Haus dunkel ist, stockfinster.

Auch Frau Holle späht nach unten. Da! Da hängt doch tatsächlich Wäsche auf der Leine. Es ist ein einsames Haus, irgendwo am Waldrand. Dabei wissen doch alle Frauen, dass man in der heiligen Zeit keine Wäsche waschen darf und erst recht nicht draußen aufhängen. Schon sind einige Helferinnen unterwegs, stürmen in die Betttücher, verfangen sich in lange Unterhosen, zerreißen Pullover und Hosen. Sie werden nicht mehr weg kommen, müssen ein ganzes Jahr lang auf der Erde bleiben, denn die wilde Jagd ist längst weitergezogen.  Gutes bringen die Zurückgebliebenen den Bewohnern des Hauses nicht. Die Strafe für die Überschreitung des Verbots besteht in Pech und Unglück, Tag für Tag, das ganze Jahr hindurch.

Doch nicht nur Angst und Schrecken verbreitet das Gespensterheer. Dafür sorgt die Göttin Holle, die als Frau Holle im Märchen die bösen Menschen zwar bestraft, die guten aber reich belohnt. So hält sie Ausschau nach Menschen, die fleißig sind, hilfsbereit, bescheiden, liebevoll, einsam. Und wenn diese Menschen in einer Nacht zwischen den Jahren ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit verspüren, dann wissen sie, Frau Holle war bei ihnen, leise, geheimnisvoll, unsichtbar.

Die Göttin ist es, die Magie in die Zeit zwischen den Jahren bringt.

Sophie Lange



Eine Geschichte „Zwischen den Jahren“ gibt es hier




Samstag, 23. Dezember 2017

Weihnachtsgrüße



 Aus der winterlichen Eifel
wünsche ich allen meinen treuen Lesern und Leserinnen
ein gesegnetes Weihnachtsfest
mit besinnlichen und glücklichen Stunden

Ihre Sophie Lange

Auch ich wünsche allen, die hier hineinschauen, ein frohes Weihnachtsfest
Ihre Anne Poettgen








Freitag, 22. Dezember 2017

Weihnachten 2017


Noch einmal ein Weihnachtsfest,
Immer kleiner wird der Rest,
Aber nehm ich so die Summe,
Alles Grade, alles Krumme,
Alles Falsche, alles Rechte,
Alles Gute, alles Schlechte -
Rechnet sich aus all dem Braus
Doch ein richtig Leben raus.
Und dies können ist das Beste
Wohl bei diesem Weihnachtsfeste.

Zum 24. Dezember 1891
 Theodor Fontane 1819-1898


Donnerstag, 14. Dezember 2017

Weihnachtsstress



Weihnachtsstress! Alle Jahre wieder. Aber in diesem Jahr nicht! Das hat Gertrud sich zumindest fest vorgenommen. So hat sie bereits im Oktober  reichlich eingekauft: Lebkuchen, Printen, Spekulatius, Spritzgebäck, denn seit Mitte Herbst träumen in den Regalen der Supermärkte bereits  Weihnachtsprodukte vom Lichterfest. Aber seltsam. Zu Hause verschwinden die Vorräte auf geheimnisvolle Weise. Wenn das so weiter geht, bleiben bei der Bescherung die „bunten Teller“ leer. Also heißt es, für Nachschub sorgen. Auch Geschenke hat Gertrud schon frühzeitig besorgt. Doch inzwischen äußern die Lieben ganz andere Wünsche.
Also alles wieder auf Anfang.

So will Gertrud heute in die Stadt fahren und die notwendigen Weihnachtsbesorgungen machen. Doch zunächst gönnt sie sich bei Kerzenlicht am Adventskranz ein ausgiebiges Frühstück. Soviel Zeit muss sein. Und dann Auto raus und ab in die Stadt.

Gertrud streift durch die Geschäfte, schaut hier, prüft dort, kauft eine Kleinigkeit. In einer Boutique staunt sie über das riesige Angebot an künstlichen Kerzen, batteriebetrieben mit beweglicher Flamme – ohne Flamme; mit Fernbedienung, mit Timer, in allen Farben und Schattierungen: feuerrot, aquamarin, zartrosa, altlila, kleinkariert; dekoriert mit Engel, Sternen, Tannen, Rentieren, Weihnachtsmännern. Nein, das ist nichts für Gertrud. Sie liebt das Natürliche. Nur echte Kerzen schaffen eine besinnliche Atmosphäre, strahlen diese mystische Magie aus, diese winterliche Ruhe, diese weihnachtliche Feststimmung. Man muss natürlich die „echten“ Flammen im Auge behalten.

Gertrud bleibt ruckartig stehen, als ob sie gegen eine Glaswand gelaufen wäre, Flammen! Hat sie die Kerzen am Frühstückstisch ausgeblasen? Nein! Ja! Nein! Doch! Nein, nein, nein! Sie weiß es nicht. Ihr wird siedeheiß. Blitzschnell stürzt sie aus dem Lädchen. Die Gedanken jagen durch ihren Kopf. Die Kerzen sind bestimmt schon runter gebrannt. Der Tannenkranz hat Feuer gefangen. Es knistert, es knarrt, es knarzt. Funken fliegen, Flammen züngeln. Ogott-ogott.

Sie weiß später nicht mehr, wie sie zum Parkhaus gekommen ist, wie sie das Auto durch die Stadt gesteuert hat. Nun jagt sie über Landstraßen. Dörfer tauchen auf und bald entdeckt sie auch ihren Heimatort. Flammen? Feuer? Feuerwehr? Fegefeuer, Hölle? Nein, es sieht alles ganz friedlich aus. Aber da! Rauchwolken! Das ist doch ihre Straße. Jetzt drückt sie voll auf die Tube. In Rekordzeit hat sie ihre Straße erreicht, ihr Haus, die qualmende Säule. Aber  - das ist ja gar nicht ihr Haus. Der Rauch steigt aus dem Garten des Nachbarn, der mal wieder verbotenerweise stinkenden Abfall verbrennt.

„Müssen Sie immer die Umwelt verschmutzen!“ Gertrud schreit, panisch und doch erleichtert. „Das ist rücksichtslos! Das ist unverschämt! Das ist – das ist  -  kriminell!“ Ihre Stimme bricht.
Der Nachbar schaut sie verblüfft an. „Alles in Ordnung mit Ihnen?“ fragt er seelenruhig. Gertrud antwortet nicht. Sie stürzt ins Haus, stolpert in die Küche, steht vor dem Esstisch. Die Kerzen sind aus – natürlich. Unbewusst, automatisch ausgepustet. Sie lässt sich auf einen Stuhl fallen. Sie ist fix und fertig. Sie braucht einen Kaffee.

Erst allmählich wird ihr klar, dass sie von ihren Besorgungen nichts erledigt hat. Also morgen nochmals alles auf Anfang. Sie will sich aber besser vorbereiten, will einen ausführlichen Einkaufszettel und einen exakten Laufzettel schreiben. Sie nimmt einen Zettel, notiert: K-Kerzen, Batterien.

Dann eine besinnliche Vorweihnachtszeit - ohne Stress!

Das wünscht uns Sophie Lange






Samstag, 9. Dezember 2017

Der Überfall


„Habt ihr das schon gehört? Unsere Margret!“ Susanne war außer Atem in die Cafeteria gerauscht.„Nein. Was ist denn?“, fragte Johanna und strich sich wieder ihre weißen Haare nach hinten. Eine Macke, wie Susanne hinter vorgehaltener Hand meinte.„Der Überfall!“„Der Überfall, oh Gott! Was ist passiert?“ Gerda.„Habt ihr Margret denn nicht gesehen? Blau – das ganze Gesicht!“ Susanne, hocherfreut, dass sie als Einzige Genaueres wusste. Sie hatte sich inzwischen niedergelassen.
Johanna war in ihren Stuhl zurückgefallen, sie war sprachlos, sie war entsetzt.
Auch Gerda konnte es nicht fassen: blau – im ganzen Gesicht. Musste ja schrecklich aussehen.
„Und wie ist es denn passiert?“ Johanna.
„Hoch dramatisch!“ Susanne.
„Nun red‘ schon!“ Gerda.
Susanne holte tief Luft, reckte sich und begann: „Also, das war so: Margret machte mit ihren Tischnachbarn einen Besuch in Düsseldorf.“ Pause.
„Ja und?“ Gerda.
„Ja, und stellt euch vor …“, Susanne legte eine weitere Pause ein. Es brachte ihr nicht viel, die beiden anderen schwiegen, starrten sie nur an, zunehmend ungeduldiger.
„Stellt euch vor: Da kommen drei Bengel, Burschen, höchstens sechzehn – vielleicht siebzehn Jahre alt und rempeln Herrn Obermaier an – einer der Tischnachbarn von Margret.“ Die beiden anderen schwiegen weiter – eigentlich ging es doch um den Überfall auf Margret – was redete die da? Endlich bequemte sich Gerda, doch zu fragen: „Und Margret?“
„Ja, stellt euch vor … Margret - Margret stürzte sich auf einen von den Typen – und …“
„Und?“, fragte  nun  Johanna, leicht gereizt durch die stockende Erzählweise von Susanne.
„Und der Typ hat zurückgeschlagen!“
„Zurückgeschlagen …“, murmelte Gerda und schüttelte den Kopf. Was für eine Welt. Alle drei schwiegen jetzt.
„Das war verdammt tapfer von Margret – das hätte ich ihr nie zugetraut.“ Johanna.
„Stimmt. Eigentlich ist sie doch eher zurückhaltend.“ Gerda.
„Ich hätte das nicht gemacht, ehrlich gesagt.“ Susanne.
Man saß noch eine Weile beisammen, trank Kaffee, aß Kuchen und verlor sich in Gedanken über die Schlechtigkeit der heutigen Zeit. Gut, gegen Trump, gegen Erdogan, gegen Putin war das nix – aber es betraf sie hautnah. Eine von ihnen.

Auf dem Weg zum Aufzug trafen die drei Damen auf Margret. Tatsächlich – alles blau. Je nach Temperament wurde umarmt oder nicht. Bedauernde Worte - und endlich die Frage: „Wie ist denn das passiert?“ Schließlich wollte man Margret den großen Auftritt ermöglichen – sie sollte hier und jetzt die ganze Geschichte erzählen können.
„Wie so etwas nun mal passiert: Eine Bodenplatte war locker, ich stolpere, kann mich nicht halten und schon war es passiert – ich lag der Länge nach am Boden.“

Zurück in ihrer Wohnung wunderte sich Margret, dass niemand sie wegen des Sturzes  bedauert hatte. So kannte sie ihre Freundinnen doch gar nicht. Schließlich – ihr ganzes Gesicht: blau.  Und Susanne hatte zwei unerfreuliche Telefonate. Aber sie hielt dicht und verriet nicht, von wem sie die Geschichte hatte.

Montag, 4. Dezember 2017

Nikolaus und Hans Muff


Eine Geschichte, die uns Sophie Lange aus der Eifel erzählt


Horrorszene in der Kinderzeit vor 50, 60 Jahren und mehr. Ein dunkler Abend Anfang Dezember.  Der Vater arbeitet noch mit einer Stalllaterne im Stall, in der Scheune oder wer weiß wo. Der Rest der Familie hockt in der heimelig warmen Küche. Das Türchen an der Feuerstelle ist geöffnet und die Glut spendet Licht und Wärme. Die Mutter flickt Kinderhosen, die Oma strickt irgendetwas Langes, vielleicht einen Schal. Opa pafft an der Pfeife - ist auch wichtig. Und die Kinder? Es gibt kein Laptop, kein Smartphone, kein Wii, keine Playstation – nichts. Womit haben Kinder sich früher nur beschäftigt? 

Plötzlich lautes Gerumpel vor der Tür.
 Hohoho!
Der Nikolaus ist da.
Schon öffnet sich die Tür und da steht er: groß, mächtig, würdevoll - mit Bischofsgewand, Mitra und  Bischofsstab. Das Gesicht versteckt hinter einem fülligen langen weißen Bart. Vor sich hält er ein dickes, rotes Buch, das Sündenregister der Kinder.  Hinter ihm eine finstere Gestalt, pechschwarz von Kopf bis Fuß: Der Hans Muff oder auch Knecht Ruprecht genannt. Rostige Eisenketten baumeln über seine Schultern und damit rasselt der Kinderschreck scheppernd. In der rechten Hand hält er einen knorrigen Knüppel; mit einem grummeligen Brummen droht er damit den Kindern Doch das Schrecklichste ist ein Sack auf seinem Rücken und daraus baumelt – die Kinder schaudern – ein Kinderbein. Jedes Kind hat es im Lauf der letzten Monate immer wieder zu hören gekriegt: Wenn du nicht brav bist, steckt Hans Muff dich in den Sack. Angstvoll flüchtet die Schar hinter die Mutter. Wer hat nichts auf dem Kerbholz!

Nur der kleine Karl bleibt todesmutig vor dem heiligen Mann stehen. Er hat vorgesorgt. Er ist clever. Er hat ein Taschenmesser organisiert und in die Hosentasche gesteckt. Jetzt soll der Hans Muff  ihn ruhig in den Sack stecken. Messer raus – ratsch – raus aus dem Sack und weg über alle Berge.

Der Nikolaus winkt Karlchen heran: „Jetzt will ich mal gucken, was alles in meinem Himmelsbuch über dich steht. Hier ist es schon: Dem Schaukelpferd die Mähne abgeschnitten, Mariechen an den Zöpfen gezogen, eine Fensterscheibe im Nachbarhaus eingeworfen – mann-mann-mann – da kommt allerhand zusammen. Hans Muff, pack' ihn! Steck' ihn in den Sack, aber“ – er winkt den Kleinen noch näher ran – „zuerst rückst du mal das Messer raus.“

Der Junge ist starr vor Schreck. Woher weiß der Nikolaus das? Stimmt es wirklich, was die Mutter immer sagt: Der heilige Mann sieht alles. Alles! Zaghaft trennt er sich von seiner letzten Hoffnung.

„Nicht in den Sack“, bettelt der Kleine mit bebender Stimme. „Egal, was ich Böses getan habe, ich tue es nie mehr.“
Der Nikolaus schaut ihn ernst an. „Dann sprich mal ein Gebet, dann will ich es mir noch überlegen.“
Karlchen faltet fromm die Hände: „Ich bin klein, mein Herz ist rein ...“ Doch dann weiß er nicht weiter. Jetzt ist alles aus. Doch da sind plötzlich seine Geschwister neben ihm und gemeinsam sprechen sie das Gebet zu Ende: “... soll niemand darin wohnen als Jesukindchen allein.“
Der Nikolaus ist sichtlich gerührt. Immer wieder hört er, dass sich Geschwister wie die Kesselflicker zanken, doch wenn eines von ihnen in Bedrängnis gerät, halten sie zusammen wie Pech und Schwefel, eine eingeschworene Gemeinschaft. Karlchen ist gerettet.

Der Nikolaus verteilt noch Äpfel und dann brechen der Himmelsbote und sein Knecht wieder auf.  Besonders der kleine Karl erhält noch eine eindringliche Ermahnung. Der Sack droht auch im nächsten Jahr.

Etwas später kommt der Vater ins Haus. Die Kinder berichten ihm aufgeregt: „Der Nikolaus war da.“
Der Vater ist überrascht: „Nää nää!? Da habe ich den schon wieder verpasst. Jedes Jahr dasselbe.“ Und geduldig hört er sich an, was die Kinder erzählen. Doch bald schickt die Mutter die Bande ins Bett. Polternd geht es die Treppe hoch. Karlchen jagt Mariechen und als er sie erreicht hat, zieht er sie an den Zöpfen.  Mit Schmackes! ‚
Das Mädchen schreit gellend auf: „Au! Aua! Du kommst in den Sack!“ Aber das kann Karlchen heute nicht mehr schrecken. Bis zum nächsten Jahr ist noch lang her.