Donnerstag, 27. Dezember 2018

Dezember - von Erich Kästner


Das Jahr ward alt. Hat dünnes Haar.
Ist gar nicht sehr gesund.
Kennt seinen letzten Tag, das Jahr.
Kennt gar die letzte Stund.


Ist viel geschehn.Ward viel versäumt.
Ruht beides unterm Schnee.
Weiß liegt die Welt, wie hingeträumt.
Und Wehmut tut halt weh.


Noch wächst der Mond. Noch schmilzt er hin.
Nichts bleibt und nichts vergeht.
Ist alles Wahn. Hat alles Sinn.
Nützt nichts, dass man's versteht.


Und wieder stapft der Nikolaus
durch jeden Kindertraum.
Und wieder blüht in jedem Haus
der goldengrüne Baum.


Warst auch ein Kind. Hast selbst gefühlt
wie hold Christbäume blühn.
Hast nun den Weihnachtsmann gespielt
und glaubst nicht mehr an ihn.


Bald trifft das Jahr der zwölfte Schlag.
Dann dröhnt das Erz und spricht:
Das Jahr kennt seinen letzten Tag
und du kennst deinen nicht.

Freitag, 21. Dezember 2018

Alle Jahre wieder ...

von Sophie Lange

 … kommt der kleine Lord. Die Weihnachtstage sind voller Traditionen. Da macht auch das Fernsehen keine Ausnahme.

So steht der sentimentale Film „Der kleine Lord“ fast immer an den Feiertagen im Programm, ein Film, den man sich nur zu Weihnachten ansehen mag, egal ob man ihn nun als romantisch oder kitschig bewertet. Weihnachten ist bekanntlich keine Zeit, sondern ein Gefühl. Und so bringt ein süßer, braver Junge die richtige weihnachtliche Stimmung unter den Tannenbaum. Klar, dass er auch das Herz des mürrischen, stets übelgelaunten Großvaters berührt. Ein solcher Schmarren kann nur mit einem Happy End abschließen.

Ein Märchenfilm hat über Jahre hinweg dem kleinen Lord den Rang abgelaufen: Drei Haselnüsse für Aschenputtel. Den tschechischen Märchenfilm, in dem ein fleißiges Mädchen die Herzen der Zuschauer gewinnt, kann man sich zu allen Tages- und Nachtzeiten und auf allen Programmen immer wieder ansehen. Mein absoluter Lieblingsfilm! Für das weihnachtliche Knistern sorgt besonders eine funkelnde Schneelandschaft. Das Weiß vom Himmel kam wie bestellt, als der Film gedreht wurde. Leider klappt das nicht immer. So kommt zwar Ende Dezember Weihnachten und irgendwann auch Schnee, aber beides zusammen, das passiert nur selten.

Hat man die Film-Weihnachtstage überstanden, ist noch lange nicht Schluss mit den Klassikern. Silvester wird dominiert von dem Lustspiel „Dinner for one“. Selbst wenn man die einzelnen Szenen fast auswendig kann, muss man es sich immer wieder ansehen und herzhaft lachen.

Dann ist aber endgültig Schluss mit Film und Fernsehen und frohe Weihnachten. Jetzt muss ein Buch her, am besten ein Krimi, spannend und gruselig. 

Freitag, 14. Dezember 2018

Das Christkind backt


von Sophie Lange

Am frühen Morgen klang ein Freudenruf aus dem Kinderzimmer: „Das Christkind backt,“ riefen die Kinder und zeigten zum feuerroten Himmel. Gleich hatten die Kinder ein Bild vor Augen. Über den Wolken eine Riesenbackstube, in der unzählige Engel herum wuselten: Teigzutaten mischten, kneteten, ausrollten, Sterne ausstachen. Und auf einem hohen Thron saß das Christkind und gab Anordnungen. Ein sicheres Zeichen, dass Weihnachten nicht mehr fern war.

Als die Kinder aus der Schule kamen, waren sie gespannt, ob das Christkind ihnen etwas aus der Weihnachtsbäckerei gebracht hatte. Es roch gut im Haus, nach frischem Gebäck, nach Weihnachten. Schon stürmten die Kinder zu den Schränken, rissen Türen auf, durchwühlten Schubladen, überprüften Töpfe und Pfannen. Aber nirgendwo Weihnachtsgebäck. Dabei war doch ganz eindeutig ein frischer Backgeruch auszumachen. Sie entdeckten zwar eine Blechdose mit Weihnachtssymbolen. Inhalt, einige Krümel vom vorigen Jahr. 

„Das Christkind bringt erst am Heiligen Abend die weihnachtlichen Leckereien,“ tröstete die Mutter. Aber das waren ja noch Tage! Weihnachten! Zeit der Wunder, Zeit der Überraschungen. 

Ja, die Überraschung kam dann auch prompt. Beim Einkaufen im Supermarkt standen die Kinder plötzlich stumm vor einem Regal, das ganz mit Weihnachtsgebäck beladen war: Spekulatius, Printen, Spritzgebäck, Dominosteine usw., usw. Das gibt’s doch gar nicht. Da ist zu Hause kein Stück Gebäck und hier liegt es in Massen.

Die Kinder waren echt sauer. Und abends schrieben sie dann einen Brief an das Christkind: „Liebes Christkind, das ist aber nicht nett von Dir. Supermärkte belieferst du und uns lässt du leer ausgehen. Du bist gar nicht so lieb, wie Du tust...“ Ja und dann kamen allerlei Beschimpfungen. Aber die wollen hier nicht aufgeführt werden.


Freitag, 7. Dezember 2018

Panik im Lichterglanz


von Anne Pöttgen

Drei – zwei – eins – Licht!  Am Baum erstrahlen die Kerzen, große und kleine, und von den Seniorinnen und Senioren erschallt ein oh und ah. Der Direktor wünscht eine schöne Adventszeit und animiert dazu, vom Glühwein zu trinken. Die Bläser intonieren „Oh Tannebaum“ und Damen- und Männerstimmen kommen dazu. Das Singen im Singkreis lohnt sich also doch, die Töne kommen klar und fest.'Man nickt sich zu, wispert ein paar zustimmende Worte. Die Stimmung ist heiter bis besinnlich. Eben angemessen. Auch Johanna, Gerda, Susanne und Edeltraud nehmen teil.
“Was ist das denn da?“ Johanna schüttelt ihren weißen Kopf und guckt empört. Susanne blickt in dieselbe Richtung und lacht. „Kaum einen Schluck getrunken und schon beschickert.“ Nun schauen alle vier hin und schütteln einträchtig den Kopf.
Der Direktor löst sich von seinen Gesprächspartnern und eilt zu Hilfe. Keine Sekunde zu früh, eine alte Dame findet keinen Halt, torkelt weiter und droht zu stürzen, der Gehstock poltert zu Boden. Er hakt sie unter und führt die Dame hinein ins Haus. Da gibt es Sessel genug.
Kaum ist er wieder auf der großen Terrasse, deren Mittelpunkt der Baum bildet, da schießt ein Rollator an ihm vorbei, Frau Müller klammert sich verzweifelt an das Gerät, ihre Füße können nicht folgen, auch sie droht zu stürzen. Der Direktor ist inzwischen kreidebleich geworden und blickt nervös um sich. Frau Müller wird von zwei kräftigen älteren Herren aufgehalten und fürsorglich ins Haus gebracht. Was ist los?
„Der Glühwein kann nicht schuld sein, ist doch mehr Orangensaft als Wein“, bemerkt Edeltraud. Sie stellt ihr Glas aber vorsichtshalber auf einem Serviertisch ab.
„Schnell weg damit“, sagt sie. „Wer weiß, was drin ist.“ Die übrigen Drei tun es ihr gleich.
„Mir hat er nur nach Glühwein geschmeckt und ich steh‘ auch fest auf meinen Beinen“, erwidert Johanna.
„Ich auch“, kommt es von Gerda und Susanne unisono.
„Wo haben denn die Gläser gestanden, bevor man sie hier herausgebracht hat?“ fragt Johanna.
„Was willst du damit andeuten?“, fragt Edeltraud.
„Es muss doch einen Grund geben, warum so etwas …“ Johanna stockt und deutet schweigend auf einen der Bewohner, der dicht vor dem Baum steht, nein stand. Er hat hinter sich gegriffen und einen Zweig zu fassen bekommen. Die Lichter blinken hektisch, aber der Baum steht still. Der Mann sinkt zu Boden, lockere Kerzen folgen.
„Ein Notfall, ein Notarzt, zu Hilfe“, tönt es von allen Seiten. Dann Stille. Alle blicken sich um, ob etwa noch jemand zu Boden gegangen ist.
„Da, da drüben!“, Susanne hebt ihren Arm und weist in die Richtung schräg hinter dem Baum. Tatsächlich. Eine Gestalt, verkrümmt und jammernd.
„Wenn das mal keine Panik gibt …“ unkt Gerda.
Und tatsächlich – alles schiebt sich hastig in Richtung auf die Tür, die ins Haus führt. „Schubsen Sie mich nicht!“, ertönt eine schrille Stimme.
„Weg da!“, eine andere, laut und deutlich, irgendwie brutal.
„Bitte bleiben Sie ruhig!“ Die Stimme des Direktors zittert, was nicht zur Beruhigung beiträgt.
„Es kann Ihnen doch nichts passieren. Stellen Sie die Gläser ab. Aber bitte vorsichtig, damit nichts zerbricht.“ Einer der Bewohner nimmt das Heft in die Hand, wahrscheinlich aus alter Gewohnheit. Aber schon hört man das Zersplittern von Glas, das leise Knirschen unter den Schuhen. Blindlings schiebt man sich weiter, restlicher Glühwein schwappt über auf die Kleidung des Vordermannes oder der Nachbarin. Wenigstens ist er nicht mehr heiß.
Dann ertönt das erste Martinshorn, alle bleiben stehen, wie auf ein Kommando. Gott sei Dank, Hilfe naht. Noch ein Wagen, ein weiterer. Die Helfer springen heraus, Bahren werden geschultert, Rufe ertönen. Man sucht nach den Opfern. Die sitzen im Zweifel noch in der Halle, das Laufen hatte ja schon vorhin nicht geklappt.
„Bitte machen Sie doch Platz“, drängeln die Sanitäter und die Ärzte.
„Ja, wie denn?“ kreischt es erbost. Ja, wie? Ein dichter Pulk vor einer schmalen Tür.
Der Mann oder die Frau, die hinter dem Baum gelegen hatte, wird als Erste auf eine der Bahren gehoben. Niemand hatte sich um die Gestalt gekümmert. Die Sanitäter stellen die Bahren ab, unter dem Baum ist ja jetzt Platz. Behutsam schieben sie sich durch die verschreckte Menge und regeln am Eingang, wie man langsam und ruhig in die Halle kommt. Hinter ihnen der Direktor, immer noch leichenblass. Die Blaskapelle hat sich still und leise entfernt, wahrscheinlich bangen sie um ihre Instrumente.
„Bitte bleiben Sie nicht in der Halle, sondern lassen Sie uns Platz frei für unsere Arbeit.“
„Es sei denn, Sie brauchen selbst Hilfe,“ sagt ein anderer.
Das hätte er besser nicht gesagt: Schon bleiben einige stehen und scheinen sich zu befragen, wie es ihnen denn geht. Schlecht. Sie greifen nach den Sanitätern und versperren den Nachgerückten den Eingang. Manche krallen sich förmlich fest, andere haben die Hände über den Kopf geschlagen, wieder andere scheinen mit beiden Händen Magen und Darm zu befragen.

„Massenpanik im Altenheim, wäre ne gute Schlagzeile.“
„Einen seltsamen Humor hast du, liebe Susanne,“ sagt mit strenger Miene Edeltraud.
„Außerdem ist das hier kein Altenheim, sondern eine Seniorenresidenz!“, mischt sich eine Nachbarin ein, die mit den vier Damen an ihrem Platz geblieben ist. Sie rückt ihren Pelz zurecht, wirft noch einen giftigen Blick auf Susanne und geht stolz erhobenen Hauptes Richtung Eingang.
Edeltraud, Johanna, Gerda und Susanne rätseln bereits, wer da möglicherweise etwas in einige Glühweingläser geschüttet haben könnte.