Montag, 30. Dezember 2019

So was kann passieren

von Anne Pöttgen

Da ist ein letzter Brief zu schreiben. Mit der Hand, das geht im Moment gar nicht, denkt die Seniorin, geht zum Laptop und schreibt ihren Brief. Der natürlich ausgedruckt werden muss. Und da passiert es: Der Brief sieht blass aus - ausgerechnet jetzt - die Tinte!
Der Laptop wird aufgeklappt, alles ganz einfach, denkt die Seniorin. Das Kläppchen über ders schwarzen Tinte hoch - der Behälter raus, der neue rein. Drucken. Kurz wundert sich die Seniorin, dass kein Probedruck gemacht werden soll - ein Fortschritt, so gehet es schneller. Aber der Ausdruck!? Ein weißes Blatt. Auch beim nächsten Versuch. Ein Geistesblitz: die Folie. Wieder Deckel hoch, ein grässliches Ächzen, aber das ist normal. Folie ab und gut. Jetzt auch Probedruck
Der neue Ausdruck - er sieht genau so aus wie der alte. Verdammt. Die Seniorin wendet ihn hin und her. Kein Unterschied. Aber wieso ist nur der Text so blass? De Kopf, die Anschrift - ganz normal schwarz, Der Text IST BLAU! Welcher Teufel hat da seine Hand im Spiel? Die Seniorin wird es nie erfahren. Aber was ihr klar wird, die neue Tinte war überflüssig.

Und nun wünschen Sophie Lange und Anne Pöttgen ein gutes Neues Jahr 2020

Mittwoch, 25. Dezember 2019

Weihnachten 2019


Sophie Lange und ich wünschen ein frohes Fest

Blüh und leuchte, goldner Baum

von Ernst Moritz Arndt



Blühe denn, leuchte, goldner Baum,
Erdentraum und Himmelstraum;
blüh und leuchte in Ewigkeit
durch die arme Zeitlichkeit!




Sei uns Bild und sei uns Schein,
dass wir sollen fröhlich sein,
fröhlich durch den süßen Christ,
er des Lebens Leuchte ist.




Sei uns Bild und sei uns Schein,
dass wir sollen tapfer sein
auf des Lebens Pilgerbahn,
kämpfend gegen Lug und Wahn.




Sei uns Bild und sei uns Schein,
dass wir sollen heilig sein,
rein wie Licht und himmelsklar,
wie das Kindlein Jesus war!




Ernst Moritz Arndt, 1768-1860 Bonn


Freitag, 6. Dezember 2019

Nikolaus



Zwar stammt Nikolaus von Myra aus der heutigen Türkei, jedoch hat sich Demre, das damalige Myra, erst seit etwa 1950 zu einer Pilgerstadt entwickelt. Dort bringt der Nikolaus nicht am 6. Dezember die Geschenke. Noel Baba kommt an Silvester.

Samstag, 30. November 2019

Der erste Advent



von Sophie Lange



Jetzt haben wir Advent,

was ihr ja alle kennt.

Wenn alles hektisch rennt,

DAS nennen wir Advent.



Es gibt der Advente vier,

stehen sonntags vor der Tür.

Und nach den vier Advente,

gibt’s dann die Weihnachtsente,

(wenn dafür reicht die Rente).



Sonntag, der 1. Dezember 2019


Samstag, 23. November 2019

Chrysanthemen


von Anne Pöttgen

Ende des 17. Jahrhunderts kamen erstmals Chrysanthemen nach Europa, 1862 sandte  Robert Fortune Kulturformen aus Japan nach Europa, die zur Grundlage der europäischen Chrysanthemenzüchtung wurden. Chrysanthemen-Sorten werden weltweit als Zierpflanzen für Parks, Gärten und Friedhöfe sowie als Schnittblumen verwendet. Die Garten-Chrysantheme gilt gar als „eine der wichtigsten gärtnerischen Kulturpflanzen“. Die Anzahl der Sorten wird mittlerweile auf einige Tausend geschätzt.[9]
Besonders von der Herbst-Chrysantheme (Chrysanthemum indicum) können frische und getrocknete Pflanzenteile zu einem aromatischen  Tee gebrüht werden. Die Blütenkörbe, Laubblätter und Achänen werden genutzt. Die Blütenkörbe werden in Essig eingelegt. Junge Laubblätter werden gegart gegessen. Die medizinischen Wirkungen wurden untersucht. Es wird ein Öl gewonnen.[10] Außerdem soll sie als Zugabe zum Badewasser sehr aromatisch sein (zitiert aus Wikipedia).

Mich erinnern Chrysanthemen immer an den Namenstag meiner Mutter (Katharina) am 25. November. Es stand immer ein großer Strauß dieser wunderschönen gefüllten Sorte in der Wohnung.


  • Kempei's photo cc By-SA

Samstag, 16. November 2019

Über Tote nur Gutes reden

von Sophie Lange 

Früher war es in den kleinen Eifeldörfern ein guter Brauch, dass – fast - das ganze Dorf an einer Beerdigung eines Dorfbewohners teilnahm. Zumindest eine Person aus jedem Haus sollte den letzten Weg begleiten. Heute ist das nicht mehr so; zu verschiedenartig sind die Bestattungsformen.
Nach der Beerdigung ging es dann zur Dorfschänke, wo eine Kaffeetafel gedeckt war. Nachdem alle einen Platz gefunden hatten, war es zunächst still in dem Raum. Doch nach ein paar Tassen Kaffee und einem Aufgesetzten war die Unterhaltung in vollem Gange. Der Geräuschpegel stieg ständig.
An einem Tisch hatten sich einige Nachbarn zusammengefunden.
„Ich habe vor ein paar Tagen Kathrinchen noch am Gartenzaun getroffen“, erzählt Gertrud.  „Und jetzt ist sie von uns gegangen.“ So weiß noch mancher etwas zu erzählen.  Eine andere Nachbarin erinnert daran, dass die Verstorbene immer alle Neuigkeiten aus dem Dorf wusste und blitzschnell verbreitete.
„Sie war eine Klatschtante“, tönt aus der Runde.  Vorsicht! Etwas Schlechtes darf nicht erwähnt werden. Denn eine alte Lebensweisheit lautet:


„Von Toten soll man nur Gutes sprechen.“  Schon im alten Rom wies man darauf hin: De mortuis nil nisi bene. Dieses „lateinische“ Sprichwort stammt schon aus dem alten Griechenland. Der Philosoph Chilon von Sparta soll der Urheber des Zitats sein. Die genaue Übersetzung heißt hier: „Von den Toten nichts außer auf gute Weise sprechen.“ Fällt einem partout nichts Gutes ein – es gibt ja auch Bösewichte unter den Menschen – soll man schweigen, ganz einfach den Mund halten.
Was steckt hinter dem Zitat. Vor allem die Ehrfurcht vor dem Toten und vor dem Tod grundsätzlich. Es ist aber auch eine Portion Angst dabei. Wer weiß, ob die Seelen der Verstorbenen nicht noch in unserer Nähe sind und sich für eine negative Beurteilung rächen wollen. Besonders auf den Friedhöfen soll es ja unheimlich sein.  Vielleicht packt einem plötzlich ein Geist ans Genick.

Daher stets bedenken. „De mortuis nil nisi bene – Über Tote nur Gutes sprechen.



         






Sonntag, 10. November 2019

Am Martinsabend



gesucht und gefunden von Sophie Lange


Am Martinsabend von C. (Clara) Viebig,
Erstveröffentlichung 1894, Auszug
in: Memoiren-Correspondenz Berlin, 8. November 1920



Die ganze Stadt duftete nach Leinöl und Schweineschmalz. In jedem Hause, reich oder arm, in jeder Küche, vornehm oder gering, brodelten sie in der Pfanne,  die runden kleinen Kuchen aus Buchweizenmehl; nur sind bei den Reichen mehr Korinthen drauf gestreut und bei den Armen sitzen sie vereinzelt im Teig, wie Fliegen im Winter! Herrlicher Anblick, wenn so ein Kuchen ins siedende Fett fällt, sich dehnt und aufgeht und knusprig bräunt - das Wasser läuft einem im Munde zusammen!
Für eine Kindernase am Niederrhein gibt’s keinen köstlicheren Geruch als den des Buchweizenpuffers. Rosen und Nelken sind gar nichts, und selbst kein anderer Kuchen, und sei er noch so dick mit Zucker bestreut oder mit Schokolade begossen, kann dagegen aufkommen. So ein richtiger rheinischer Puffer hat eben seinen ganz besonderen Duft – 's ist Poesie drin. Wenn er in der Pfanne liegt, dann schnuppern die lüsternen Näschen zur Küchentür herein, und vor dem glänzenden Kinderauge tanzen farbige Papierlaternen und ausgehöhlte Kürbisse mit brennenden Lichtlein, und in den Ohren klingt eine süße kleine Melodie: „Lustig, lustig, trallalla! Heut ist Martins – Abend da!“
In den Straßen der Stadt wogt und drängt es zur Abendstunde – hilf Himmel, was gibt es für eine Unmenge Kinder! - und jedes von ihnen trägt eine Papierlaterne oder einen Kürbis am langen Stock und schwenkt den und hält ihn hoch, damit kein böser Störenfried komme und das Lichtlein ausblase. Eine Schar lustiger Buben kommt das Trottoir entlang: „Platz da!“ sie blasen den Mädchen die Laternen aus und schreien ihnen ins Ohr:


„Cintmäten, Cintmäten!
Die Junges sind Rabbauen,
Die Mädchen wollen mer hauen;
Die Junges trinken roten Wing,
Die Mädels schmeißen mer in den Rhing.
Cintmäten, Cintmäten!“



Und die kleinen Evastöchter, nicht faul, antworten:

„Die Mädels trinken weißen Wing,
Die Junges schmeißen mer in den Rhing,
Cintmäten, Cintmäten!“



Im Nu sind die Laternen wieder angezündet, ein freundliches Schieben und Stoßen, helles Lachen ertönt – und fort geht’s an den hohen Häusern vorbei zum Marktplatz, wo der alte Kurfürst Jan Willem auf steinernem Ross sitzt und gravitätisch die Rechte in die Seite stemmt. An der Alongeperücke hocken verscheuchte Spatzen; trotz aller angeborenen Dreistigkeit sind sie erschrocken und gucken mit den verschlafenen Vogeläugelchen ängstlich hinunter auf das Gewoge: Rote Sterne, blaue Sterne, gelbe Sonnen, grüne Monde, liebliche Tulipanen und schreckhafte Fratzenlaternen, dicke Kürbisse mit wunderlich eingeritzten Gesichtern. Alles kribbelt und wibbelt durcheinander, und ganz in der Ferne kommt's an wie glühende Pünktchen, wie Leuchtkäferchen am dunklen Straßenende, wie eine glitzernde Schlange zieht's daher – und nun ist eine andere Schar da, und das alte Lied erklingt aufs Neue, und die fröhlichen Stimmen umtosen den gestrengen Jan Willem und die hurtigen Füße umtanzen seine kurfürstlichen Gnaden, dass der schier vom hohen Pferd herunter steigen möchte, wenn er nur nicht so ein versteinertes Mannsbild wäre.



Clara Viebig, Dichterin

       * 18. Juli 1860 in Trier

       von 1868 bis 1883 wohnhaft mit ihren Eltern in Düsseldorf, Am Schwaenmarkt

       ab 1883 in Berlin

       + 31. Juli 1952 in Berlin

        beigesetzt auf dem Nordfriedhof in Düsseldorf, im Grab ihres Vaters

Heinrich Hermann, 1905, Wikipedia gemeinfrei   




Freitag, 1. November 2019

Allerseelen


An keinen anderen Tagen im Jahr ist der Zustrom zu den Friedhöfen so groß wie Anfang November. Das Gedenken an die Toten ist in den Menschen tief verwurzelt und wird bis heute zelebriert.

Es gibt nur wenige Bräuche, die dem Allerseelentag eindeutig zugeordnet werden. Einer davon wäre der Friedhofsbesuch, der traditionell an Allerseelen stattfindet, häufig jedoch bereits einen Tag zuvor.


Allerseelen
Ausgestellt vom Musée International D'Art Naif, Anatole Jakovsky, 1984 in Nizza

Freitag, 11. Oktober 2019

Herbst-Haikus


von Anne Pöttgen

Die letzten Rosen
beugen sich vor dem Herbstwind
die Sonne schaut zu




Die Nebel ziehen
der Herbsttag will noch schlafen
verbirgt sein Gesicht



Still zeigen Blätter
ihre herbstlichen Farben
fern weht ein Wind


















Sonntag, 6. Oktober 2019

Alles hat seine Zeit


Alles hat seine Zeit: der Sonnenhut

Winter und Sommer,  Herbst und Frühling,
Jugend und Alter,  Wirken und Ruhe.

    (Johann Gottfried von Herder, 1744-1803)

            Alles hat seine Zeit: die Astern




Freitag, 27. September 2019

Herbsttag


von Rainer Maria Rilke, 21.9.1902, Paris




Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.

Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,

und auf den Fluren lass die Winde los.



Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;

gib ihnen noch zwei südlichere Tage,

dränge sie zur Vollendung hin, und jage

die letzte Süße in den schweren Wein.



Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.

Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,

wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben

und wird in den Alleen hin und her

unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

                    Rainer Maria Rilke 1875-1926




Freitag, 20. September 2019

Ich möchte gar kein Brötchen

von Anne Pöttgen


Es ist Samstag, der Tag, an dem es in der Seniorenresidenz zu Mittag Suppe gibt. Nicht nur eine Geschmacksrichtung, sondern vier verschiedene. Man weiß doch, was man seinen gut zahlenden Bewohnern schuldig ist. Heute also: Hühnersuppentopf, Rindersuppentopf, Gemüsesuppentopf und Lübecker Möhrensuppentopf. Dazu gibt es üblicherweise Brötchen, klein und ganz lecker, Tafelbrötchen. Frau Müller und Frau Meier haben den Hühnersuppentop gewählt, Frau Schmitz hatte sich für den Möhrentopf entschieden. Die Suppen wurden in Terrinen serviert, die Brötchen standen bereits auf dem Tisch. Aber – es waren nur zwei. Hastig wurde die Speisekarte konsultiert. Da stand es schwarz auf weiß: Frau Müller und Frau Meier hatten Anspruch auf ein Tafelbrötchen.
„Liebe Frau Schmitz, Sie können gern mein Brötchen haben.“ Die immer freundliche Frau Müller wandte sich Frau Schmitz zu.
„Nett von Ihnen, aber ich möchte eigentlich gar kein Brötchen“, antwortete Frau Schmitz, die noch die Karte in der Hand hielt. Was stand also bei ihrem Gericht, dem Lübecker Möhrentopf? Das wollte sie jedenfalls wissen: Tischbrötchen. Tischbrötchen, was war wohl der Unterschied zum gängigen Tafelbrötchen? Das wollte sie auch wissen und so rief sie die Bedienung an den Tisch und fragte, was denn der Unterschied zwischen den Brötchen sei.
„Das weiß ich leider nicht, da muss ich in der Küche nachfragen.“ Weg war sie.
Aber schon war Herr Meier-Lüdenscheid vom Nachbartisch aufgestanden, in der Hand ein Tellerchen mit einem kleinen Brötchen, Tisch- oder Tafelbrötchen war nicht zu erkennen. „Bitte, Frau Schmitz, nehmen Sie meins.“
„Danke, Herr Müller-Lüdenscheid, ich möchte gar kein Brötchen.“ Er ging zurück an seinen Platz samt seinem verschmähten Brötchen. Na, dann nicht, sagte sein Gesichtsausdruck – da will man mal freundlich sein …


Die Suppe war aufgetischt, man beginnt zu essen. Da schreckt Frau Meier auf, mit ihrem Tafelbrötchen in der Hand. „Liebe Frau Schmitz, Sie haben ja gar kein Brötchen, möchten Sie meins – obwohl, ich habe es ja leider schon zum Teil aufgegessen.“
„Das  ist  sehr  freundlich,“ sagt Frau Schmitz, der Ton jetzt leicht gereizt, anscheinend döste Frau Meier mal wieder vor sich hin, denkt sie. „Aber ich will gar kein Brötchen!“ Frau Meier schaut verblüfft, den Ton kennt sie gar nicht von Frau Schmitz. Stumm beißt sie ins Tafelbrötchen.
Da naht die Bedienung. „Es gibt gar keinen Unterschied bei den Brötchen – und hier ist Ihres, Frau Schmitz, entschuldigen Sie bitte, dass ich es erst jetzt bringe.“
„Danke,“ sagte Frau Schmitz

Freitag, 13. September 2019

Gerda F. (58)

von Brigitte Thion, als Gast


Vor drei Jahren habe ich mich von meinem Mann getrennt. Eigentlich wusste ich lange vorher, dass meine Ehe am Ende war. Mein Ehemann war in den letzten Jahren nur noch feindselig und respektlos mir gegenüber gewesen. Ich dagegen hatte mit allen Mitteln versucht, die Beziehung zu retten, schenkte ihm trotz seiner Gemeinheiten sehr viel Aufmerksamkeit und überredete ihn zur Paartherapie. Es änderte sich nichts und eines Tages fand ich heraus, dass er bereits seit etlichen Jahren eine Geliebte hatte. Ich warf ihn aus meinem Leben und unserem gemeinsamen Haus. Seitdem hatte ich keinen Mut und keine Lust mehr gehabt, einen neuen Mann kennen zu lernen, und lebte allein. Ab und zu kam meine erwachsene Tochter Valentina am Wochenende zu Besuch. Wir waren wie beste Freundinnen. Leider wohnte sie 300 Kilometer entfernt. Hin und wieder passte ich auf ihren aus Rumänien stammenden, ehemaligen Straßenhund Candy auf. Manchmal hatte ich Candy länger bei mir. Das genoss ich dann sehr.
Insgesamt arrangierte ich mich ganz gut mit dem Alleinleben, jedoch kam immer wieder ein Gefühl der Einsamkeit auf. Mir fehlten die Aufmerksamkeit und die Zärtlichkeit eines Mannes. Auf den Tipp meiner Tochter hin, meldete ich mich deshalb bei einer Online-Partnerbörse an. Ich bekam schnell viele Zuschriften und hatte schon bald meine ersten Dates.
Die meisten Männer traf ich jedoch nur einmal, da bereits bei der ersten Verabredung klar wurde, dass es zwischen uns nicht funkte. Außerdem gab es einige Kandidaten, die nur das eine wollten. So hatte ich mir die Partnersuche nicht vorgestellt. Fast hatte ich aufgegeben, weil ich niemand Passendes gefunden hatte. Doch dann meldete sich Rainer. Schon seine erste Kontaktaufnahme unterschied sich in positiver Weise von denen der anderen Männer. Die meisten schrieben nur folgende Sätze: „Hallo Gerda, dein Profilfoto gefällt mir. Schreib mir doch zurück. Wir sollten uns treffen.“
Rainer dagegen gab sich mehr Mühe und war charmanter:
„Liebe Gerda, dein Lächeln auf deinem Profilfoto hat mich sofort verzaubert. Eine so wunderschöne Frau wie dich habe ich noch nie zuvor gesehen. Ich würde mir wünschen, dein Lächeln jeden Tag live zu erleben. Ich bin dein ewiger Bewunderer.“
Ich antwortete ihm sofort. So nette Worte hatte ich kein einziges Mal in meiner Ehe zu hören bekommen. Ich fühlte mich geschmeichelt. Diesen Mann wollte ich unbedingt kennenlernen.
Wir verabredeten uns für das nächste Wochenende in einem Café in meiner Heimatstadt. Als ich ankam, wartete er bereits auf mich. Ich war etwas überrascht, da sein Aussehen nicht ganz seinem Profilfoto entsprach, wahrscheinlich war dieses bereits einige Jahre alt. Er war dicker und seine Haare schütterer und grauer als auf dem Foto.
Da ich mich schon einmal auf den Weg gemacht hatte, entschied ich mich, ihn kennenlernen zu wollen. Er dagegen schien von meinem Anblick ganz beeindruckt zu sein. Er machte mir sofort schöne Komplimente: „Du siehst noch viel besser und viel jünger aus als auf dem Profilfoto. Du bist schöner als in meinem Traum. Ich bin begeistert. Vielleicht habe ich ein bisschen Glück und ich gefalle dir auch?“ Ich war geschmeichelt, deshalb ließ ich seine Frage unbeantwortet.
Wir verbrachten einen schönen gemeinsamen Nachmittag. Für ihn war es selbstverständlich, dass er alles bezahlte. Im nächsten Blumenladen kaufte er mir einen Riesenstrauß der schönsten Rosen. Sie waren zweifarbig, weiß und orange, wie ich sie liebte. Im Anschluss gingen wir noch im Park spazieren und er ließ mich wissen, dass er mich unbedingt wiedersehen wollte.
Das taten wir auch, nicht nur einmal. Er brachte mir zu jedem Treffen einen schönen Rosenstrauß mit und lud mich in die feinsten Restaurants ein. Ich war sehr beeindruckt. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Auch charakterlich schien es sehr gut zu passen. Unsere Gespräche waren interessant und tiefgründig. Er brachte mich außerdem zum Lachen. Sein Humor war nicht nur einfach, sondern feinsinnig. Das war mir bei einem Mann immer schon sehr wichtig gewesen.
Er besuchte mich, oder ich besuchte ihn in den kommenden Wochen.
Er wohnte 60 Km entfernt in einer ländlichen Umgebung. Sein Haus war freistehend im Stil der sechziger Jahre. Außen wie innen. Massive Holzmöbel und braun und orange Töne an den Wänden und Textilien herrschten vor.
Bei meinem ersten Besuch schlug er mir eine Hausführung vor. Im Obergeschoss befand sich das Schlafzimmer mit schweren Eichenmöbeln, das Doppelbett und der Kleiderschrank waren hellblau lackiert.
Das Badezimmer war grün gefliest, ein kleines Arbeitszimmer befand sich unter der Dachschräge.
Im Wohnzimmer im Erdgeschoss stand ein massiver brauner Kamin und ein großes mit Cord bezogenes orangefarbenes Sofa. Die Küche war klein und rustikal. Ganz besonders stolz war Rainer auf sein Spielzimmer im Keller, in dem ein Billardtisch und ein großer blauer Metallschrank standen, es war ein Koloss eines Schrankes.
„Was bewahrst du denn hier auf?“ fragte ich ihn.
„Das ist mein Waffenschrank. Ich sammle Gewehre.“
„Gewehre? Echte Gewehre? Darf man das denn überhaupt?“
„Ich ja, ich habe eine Sondererlaubnis.“ Das kam mir eigenartig vor.
In diesem Haus mit den Waffen hätte ich nicht leben wollen. Als hätte er meine Gedanken gelesen, sagte Rainer von sich aus: „Ich bin nicht ortsgebunden. Ich kann auch woanders wohnen.“
Ich war beruhigt. Denn auch die Gegend gefiel mir nicht. Wenn das Haus die einzige Macke von Rainer wäre, könnte ich mich damit abfinden, sofern er denn bereit war zu mir zu ziehen, sagte ich mir.
Mein Haus war fast das genaue Gegenteil von seinem, es war hell eingerichtet, mit weißem Holz und zeitgemäß. Es wirkte gemütlich und zugleich modern. Meine Tochter hatte mir bei der Einrichtung meines schönen weißen Hauses geholfen. Es war ebenfalls ein freistehendes Haus. Die nächsten Nachbarn lebten etwa 50 m entfernt. So konnte ich meinem Hobby der Opernmusik nachgehen und ohne jemanden zu stören, die Opernarien laut mitsingen.
Nicht nur für mich, sondern auch für einen Partner hatte ich auf 120 Quadratmetern genug Platz. Da Rainer bereit war, zu mir zu ziehen, stand unserer Beziehung nichts im Wege.
Er ging rücksichtsvoll mit mir um und war in keiner Weise plump. Er schien es wirklich ernst mit mir zu meinen, denn es war nicht seine Absicht, mich schnell ins Bett zu bekommen. Nein, er ging behutsam und achtsam vor. Nach ein paar Wochen entschlossen wir uns doch, unsere erste gemeinsame Nacht miteinander zu verbringen. „Nicht bei mir, nicht bei dir, es soll etwas ganz Besonderes sein“, schlug Rainer vor. „Wir gehen in ein schönes Hotel.“
Er holte mich mit seinem flotten Cabrio zuhause ab. Mit einem roten Seidenschal verband er meine Augen. Ich sollte nicht sehen, wo es hingehen würde. Es sollte eine Überraschung werden. Dann fuhren wir los.
Nach etwa zehn Minuten kamen wir am Zielort an. Noch durfte ich die Augenbinde nicht lösen. Mit seiner Hilfe stieg ich aus dem Cabrio und er nahm er mir den Seidenschal ab. Vor mir erblickte ich ein Schloss. Ich glaubte zu träumen. Es war das Hotel Schlosshof, das teuerste Hotel in unserer Umgebung. Nach einem romantischen Essen im Schlossrestaurant verbrachten wir eine wunderschöne Nacht miteinander und mir wurde klar, dass wir seelisch und auch körperlich perfekt zusammenpassten.
Ich war vollkommen glücklich. 
Jetzt behandelte er mich noch mehr wie eine Königin. Zu unserem einmonatigen Jubiläum schenkte er mir Collier, sündhaft teuer, aus hochwertigem Weißgold mit Brillanten und einem strahlenden Saphir, als Zeichen seiner Liebe. Ich war mir sicher, endlich das Glück gefunden zu haben.

Bei meinen Freundinnen und meiner Tochter Valentina schwärmte ich von Rainer in höchsten Tönen. Daher wollte meine Tochter ihn unbedingt persönlich kennenlernen. Sie wollte wissen, wer ihre Mutter so glücklich machte. Am nächsten Wochenende sollte es so weit sein.
Rainer hatte nichts dagegen, im Gegenteil war er sehr angetan von dieser Idee und er lud uns beide in ein schickes Restaurant ein. Ich war mir sicher, dass Valentina meine Begeisterung verstehen könnte und sie ihn auch akzeptieren würde.
Aber der Abend verlief völlig anders, als wir es uns vorgestellt hatten. Bereits bei der Begrüßung fiel mir auf, dass Rainer ihr gegenüber sehr reserviert, unhöflich, fast feindselig war. An Valentina konnte es nicht liegen, da sie wirklich nett zu ihm war. Doch er bezeichnete sie als „Feindin“ oder er sagte: „Der Feind hört mit“, wenn sie zu uns ins Wohnzimmer kam. Doch noch konnten meine Tochter und ich das als Scherz ansehen.
Später, beim Essen im Restaurant fing er an, Valentinas Job als Lehrerin schlechtzumachen. Lehrer sind faul und überbezahlt, sagte er. Außerdem haben sie ständig Ferien und auch an Samstagen und Sonntagen frei. Das müsste geändert werden. Er als ehemaliger Unternehmer hätte rund um die Uhr arbeiten müssen.
Anfangs versuchten Valentina und auch ich, seine bissigen Kommentare zu überhören und ihn zu bremsen, jedoch schien ihn das noch mehr anzustacheln. Mittlerweile hatte Valentina es aufgegeben, sich zu verteidigen. Er hörte doch nicht zu, wenn wir etwas erzählten. Von seiner eigenen Tochter schwärmte er in höchsten Tönen, dabei hatte sie keinen Beruf, arbeitete nicht und war daher mit ihren zweiundvierzig Jahren finanziell von ihm abhängig. Aber da sie sein Lieblingskind war, war das für ihn vollkommen in Ordnung. Wir versuchten, das Gespräch auf andere Themen zu lenken, doch das ging nicht. Stattdessen zeigte er auf seinem Handy Bilder von Prominenten, die er alle kannte. Doch damit konnte er weder bei meiner Tochter noch bei mir Eindruck schinden. Diese angeberische Seite kannte ich nicht von Rainer. Was sollte das? Meine Tochter interessierten die sogenannten Fußballstars oder Trainer absolut nicht. Für dieses Gespräch an diesem Abend waren diese Personen auch völlig unwichtig.
Meine Tochter versuchte zu erzählen, dass sie sich für Naturschutz und besonders Tierschutz einsetzte. Besonders schlimm fand sie das Vorgehen in einigen Ländern, Straßenhunde einzufangen und zu töten. Doch Rainer schien ganz anderer Meinung zu sein. Sie kosteten nur Geld, außerdem würden sie Krankheiten übertragen. Auf unsere Einwände, dass man die Zahl der Straßenhunde langfristig durch Kastration reduzieren könnte und man sie sicherlich nicht töten dürfte, reagierte er nicht. Für ihn war klar, dass die Menschen und deren Interessen wichtiger seien als das Leben von Tieren.
Es interessierte ihn auch nicht, dass Valentinas Hündin Candy ein rumänischer Straßenhund war, dabei hatte er sich zuvor so tierlieb gegeben und bei Besuchen von Candy hatte er sie liebevoll gestreichelt und für sie Leckerlis mitgebracht.
Er fragte meine Tochter, was sie denn machen würde, wenn sie ein Fest zuhause plane, da würde sie doch sicherlich auch vorher ihr Haus säubern. Damit begründete er die Massentötungen von Hunden vor Fußballweltmeisterschaften und Olympischen Spielen in einigen Ländern. Außerdem könne man einen Frauenmörder verstehen, der den Frauen den Hals umdrehe, er habe sicherlich gute Gründe dafür. Valentina und ich sahen uns betroffen an. Was wollte er damit sagen?
Dann wurde er Valentina gegenüber noch seltsamer und beleidigte sie nun persönlich. „Gib doch zu, dass du faul bist, sonst wärest du nicht Lehrerin geworden.“
Da Rainer sehr laut wurde, erregten seine Kommentare auch an den Nachbartischen Entsetzen. Ich fragte Rainer noch mal, ob er das denn ernst meine, was er von sich gab.
„Was denn sonst?“ entgegnete er in einem aggressiven Ton.
Ich war schockiert und konnte es nicht fassen. War das wirklich derselbe Mann, mit dem ich die letzten so wunderbaren Wochen verbracht hatte? Von dem ich geglaubt hatte, endlich den Mann meiner Träume gefunden zu haben? Eine tiefe Enttäuschung erfasste mich.
Ich stammelte: „Rainer, wenn du das wirklich denkst, was du sagst, dann ist es vorbei mit uns.“
Er schaute nur empört. Valentina und ich sahen uns entsetzt an und wir verließen fluchtartig das Lokal. 
Ich schrieb ihm sofort eine Nachricht. „Lieber Rainer, ich befürchte, am heutigen Abend hat sich herausgestellt, dass wir in unseren Ansichten nicht zusammenpassen. Darüber bin ich sehr traurig, aber es ist besser, wenn wir uns nicht mehr treffen.“Als wir zuhause angekommen waren, waren bereits zwanzig Nachrichten von Rainer auf meinem Anrufbeantworter und auf meinem Handy eingegangen. Alle hatten im Prinzip den gleichen Inhalt: Ich habe ihn nicht verdient und er verfluche mich. Er habe jetzt gesehen, dass ich zu meiner Tochter hielt, statt zu ihm, meinem geliebten Mann. Er beschimpfte mich in den Nachrichten auf das Übelste, die Bezeichnungen „Schlampe“ und „Hure“ waren noch die harmlosesten. Valentina wollte die Polizei rufen, da sie sich Sorgen um mich machte und morgen wieder abreisen musste. Ich beruhigte sie, Rainer wäre jetzt nur aufgebracht, doch er würde das sicherlich morgen wieder anders sehen, bestimmt würde er mir nichts tun. „Bellende Hunde beißen nicht, das sagt man doch so. Ich glaube, Rainer gehört zu der Sorte.“Ich zog den Stecker von meinem Telefon raus und schaltete das Handy aus, weil es weiterhin unaufhörlich klingelte.Trotzdem schliefen wir in dieser Nacht sehr unruhig. Nach dem Frühstück, bei dem wir den gestrigen Abend noch einmal diskutierten, wunderten wir uns noch immer und konnten es nicht verstehen. Es war wie ein böser Traum. Besorgt ließ mich Valentina in meinem Haus zurück. „Mama, ruf mich und die Polizei sofort an, wenn etwas ist.“ Sie befürchtete, dass Rainer mir auflauern könne. Ich solle die Straße genau beobachten, bevor ich nach draußen ginge. Ich versprach es ihr.

Jetzt war von Rainer weit und breit nichts zu sehen. Auch gingen keine Anrufe mehr auf meinem Telefon ein. Enttäuschung über das jähe Ende unserer Beziehung und Rainers Verhalten und Erleichterung darüber, dass er mich in Ruhe ließ und ich mich nicht vor ihm fürchten müsste, wechselten sich ab. Ich empfand aber auch Wut darüber, dass er sich so gegenüber meiner Tochter verhalten und solch fürchterliche Ansichten vertreten hatte. Auch in den nächsten Wochen hörte und sah ich nichts von Rainer. Die Zeit verging und ich dachte immer weniger an ihn.

Manchmal kam jedoch der Gedanke auf, dass alles sehr eigenartig gelaufen war. Würde sich Rainer wirklich so zufriedengeben? Würde er mich einfach so gehen lassen? Eigentlich konnte ich es nicht glauben.
Doch bald machte ich mir auch darüber keine Gedanken mehr. Rainer war einfach vom Erdboden verschwunden, zumindest für mich. Vielleicht hatte er seine nächste Traumfrau schon im Internet gefunden. Meine Vorsicht ließ ich daher von Tag zu Tag immer stärker außer Acht.

Ungefähr einen Monat später kam für zwei Tage ein guter Freund von früher zu Besuch. Er war auf der Durchreise und wollte zu seiner neuen Freundin, die im Norden wohnte. Fröhlich und mit freundschaftlichen Küssen verabschiedeten wir uns vor meinem Haus.
Am Abend saß ich wie immer um dieselbe Uhrzeit vor dem Fernseher und schaute einen Krimi. Ich hatte es mir richtig gemütlich gemacht, ein Glas Rotwein und eine Duftkerze standen auf dem Couchtisch. Plötzlich hörte ich ein Motorengeräusch. Wer kam um diese Uhrzeit hierher? Es klang, als hätte ein Auto direkt in meiner Einfahrt gehalten. Ich erwartete niemanden. War es Valentina, die spontan vorbeigekommen war und mich überraschen wollte? Nein, sie hatte keine Ferien, morgen musste sie arbeiten. Jetzt war es schon neun Uhr abends. Ich wurde nervös, mein Herz pochte mir bis zum Hals. Ich ging in den Hausflur. Ein grelles Licht blendete mich. Durch die Haustür strahlte ein heller Schweinwerfer. Der Motor wurde ausgeschaltet, doch das Licht blieb an, die Autotür schlug zu, jemand war wohl aus dem Wagen ausgestiegen.
 Ich hatte panische Angst. Ich lief die Treppe hoch in mein Schlafzimmer, wo ich mein Telefon liegengelassen hatte. Aus dem verdunkelten Zimmer schaute ich vorsichtig aus dem Fenster die Einfahrt herunter. Unten an der Ecke erblickte ich Rainers Cabrio. Er selbst war jedoch nicht zu sehen. Mir wurde ganz anders zu Mute, wo war er und was wollte er? Da hörte ich plötzlich einen lauten Knall. Ich erschrak mich fast zu Tode. Was war das? Es hatte sich angehört wie das Klirren von Glas. Ich erstarrte, aber trotzdem schaffte ich es irgendwie, nach meinem Telefon zu greifen und die Polizei anzurufen. Ich traute mich nicht mehr, aus dem Fenster zu schauen, und ich kauerte mich in die Ecke hinter den Vorhang. Würde Rainer hochkommen und mich umbringen? Tatsächlich hörte ich dumpfe Schritte auf der Treppe. Ich hielt die Luft an. Jemand betrat mein Schlafzimmer. Das Licht ging an.
„Gerda, komm raus. Ich weiß, dass du da bist!“ Es war Rainer. Ich war mir sicher, dass er mich finden und mich töten würde. Seine Schritte näherten sich dem Vorhang, im nächsten Moment würde er mich dahinter entdecken. Doch dann waren von Ferne Sirenen zu hören. Rainer verließ hastig das Zimmer. Er lief die Treppe herunter. Die Haustür schlug zu.
Ich atmete auf, schaute zum Fenster hinaus und sah wie er in sein Cabrio sprang und in Windeseile davonfuhr.
Er war weg. Ich konnte es nicht fassen. Nur wenige Minuten später war die Polizei da. Es stellte sich heraus, dass Rainer mein Wohnzimmerfenster zerschossen hatte. Er hatte genau in die Richtung geschossen, wo ich jeden Abend um diese Uhrzeit vor dem Fernseher saß. Wäre ich nicht hochgerannt, wäre ich jetzt tot.
Rainer wurde angezeigt, sein Gerichtsverfahren steht ihm noch bevor. Ich befürchte, dass er lediglich eine Bewährungsstrafe erhalten wird. Die Auflage, sich mir nicht zu nähern, würde er ohnehin nicht ernstnehmen.

Manchmal frage ich mich, was wohl passiert wäre, wenn ich mich damals nicht für meine Tochter, sondern für ihn entschieden hätte, wie er es gewollt hatte. Ich bin mir sicher, dass ich sehr unter der Trennung von meiner Tochter gelitten hätte. Darauf wäre es bestimmt hinausgelaufen, das hatte er doch beabsichtigt. Ich weiß, dass ich mit einer Person, die so etwas von mir verlangte, nicht hätte wirklich glücklich werden können. Wenn ich nicht so gehandelt hätte, wie er es wollte, hätte er mich vielleicht längst getötet.
Ich kann nicht weiter allein in meinem Haus leben. Fast jede Nacht träume ich von diesem schrecklichen Abend. Wie Rainer mich hinter dem Vorhang findet und mich erschießen will. Bevor er mich töten kann, bin ich bis jetzt immer schweißgebadet erwacht. Ich kann keine Nacht mehr ruhig schlafen. Auch tags verfolgt mich die Angst. Ich traue mich ohne Begleitung nicht, das Haus zu verlassen. Ich habe deshalb entschieden, aus meinem geliebten Haus wegzuziehen zu meiner Tochter. Rainer kennt ihre Adresse nicht. Ich wünsche mir, dass ich dann endlich wieder ein normales Leben führen kann. Ohne Angst.

Wie oft liest man in den Zeitungen, wenn ein unerklärlicher Mord passiert ist: Aber unser Nachbar war doch so ein netter Mensch, liebenswürdig, unauffällig.






Samstag, 1. Juni 2019


Juni 2019

Liebe Freundinnen und Freunde der Seniorenstories,



eigentlich hatten wir vor (Anne Pöttgen und Sophie Lange), noch lange Zeit  Seniorenstories zu schreiben. Doch aus gesundheitlichen Gründen müssen wir im Moment unsere Arbeit einstellen oder zumindest pausieren. Vielleicht ergibt sich später mal eine neue Möglichkeit.



Wir bedanken uns für Euer und Ihr Interesse an unseren Geschichten, immerhin sind es knapp zehntausend  Aufrufe gewesen.

Wir grüßen mit den besten Wünschen.


und Anne Pöttgen www.annepoettgen.de

Mittwoch, 15. Mai 2019

Die kalte Sophie am 15. Mai


von Sophie Lange

Der 15. Mai mit dem Festtag der heiligen Sophia beendet die Tage der Eisheiligen.Vom Sophientag gibt es viele Bauernregeln, von denen einige hier aufgeführt sind:



         Der Mai in der Mitte

         hat für den Winter stets noch eine Hütte.



         Vor Nachtfrost bist du sicher nicht,

         bevor Sophie vorüber ist.

        

         Sophie man die Kalte nennt,

         weil sie gern kalt Wetter bringt.



         Vor Bonifaz kein Sommer,

         nach der Sophie kein Frost



         Pankraz, Servaz, Bonifaz

         und die kalte Sophie,

         vorher lache nie!



         Pflanze nie

         vor der kalten Sophie.



         Die kalte Sophie kommt mitunter

         mit frostiger Nacht zu uns herunter.



         Manche Pflanze wird nicht alt,

         denn die Sophie liebt es kalt.

        

         Oft hat Sophie Frost gebracht

         und manche Pflanze totgemacht.



         Pankrazi, Servazi und Bonifazi

         sind drei frostige Bazi

         Und zum Schluss fehlt nie,

         die kalte Sophie



         Die kalte Sophie bringt zum Schluss,

         ganz gern noch einen Regenguss.


Samstag, 11. Mai 2019

Handy-Freaks


von Sophie Lange



Die Schulglocke kündet den Schulschluss an. Nun erwartet man, dass die Kinder lautstark aus dem Gebäude stürmen. Aber nein! Sie stürmen zwar, aber es bleibt still. Kein Geschrei, kein Streit, kein Gerangel, alles ruhig. Hastig kramen die Kinder ihre Handys aus dem Tornister. Während des Unterrichts mussten sie diese ausschalten, doch jetzt sind sie der Lehrerdiktatur entronnen und nun wird gewischt, getippt, gesimst, gedaddelt, gezockt. Alles ringsum ist vergessen.

Von einer Bank aus beobachten Meyer Eins und Meyer Zwei das Gebaren der Kinder.  „Diese Handys! Eine Plage.“ Meyer Eins schüttelt missbilligend den Kopf. „Und diese Kinder! Sie sehen nichts, sie hören nichts!“ piepst er. „Steht das nicht schon in der Bibel?“

„So ähnlich!“ brummt Meyer Zwei. „Aber ich glaube, damit waren nicht die Handy-Freaks gemeint.“

Meyer Eins: „Was sind eigentlich Freaks?“

Meyer Zwei: „Freaks sind Nerds“

Meyer Eins: „Und was sind Nerds?“

Meyer Zwei: „Nerds sind Freaks.“

Alles klar!



Szenenwechsel  - Im Altenheim haben sich die Bewohner im „Festsaal“ versammelt. Singen steht auf dem Programm. Geduldig – und apathisch - warten sie auf die Gruppenleiterin. Diese Stille überrascht Besucher immer wieder. Wenn man da an Seniorengruppen denkt! Das ist immer ein Geschnatter und Gekicher ohne Ende. Nein, im Altersheim hat man sich längst alles erzählt, was erzählenswert ist. Und Neues passiert kaum. Man schweigt sich an. Doch dann werden Frühlingslieder gesungen: Es tönen die Lieder... / Leise zieht durch mein Gemüt.... / Es geht eine helle Flöte... / Jetzt fängt das schöne Frühjahr an.....usw. Frühlingsstimmung breitet sich aus. 



Zeitsprung - Versetzen wir uns einmal 20 Jahre später. Im „Festsaal“ ist Singen angesagt. Eine große – oder besser gesagt mittelgroße Gruppe - hat sich eingefunden. Es ist still, aber die Senioren sind durchaus aktiv. Sie haben ein Handy in der Hand und scrollen eifrig hin und her. Ja, das Handy hat die nächste Generation erreicht und diese ist nicht weniger entzückt als die jungen Freaks von einst. Mit Kindern und Enkel Infos austauschen, von Freunden Neuigkeiten erfahren, über Fußballspiele diskutieren, Spiele ausprobieren. Das macht doch richtig Spaß.



Und die einstigen Nerds? Sind sie inzwischen der Informationsflut überdrüssig? Hat sich etwas ganz Neues durchgesetzt? Oder sind sie zu dem alten Brauchtum zurückgekehrt: „Reden miteinander“? Live!

Montag, 6. Mai 2019

Frühling


Frühling



Nun ist er endlich kommen doch

In grünem Knospenschuh;

„Er kam, er kam ja immer noch“,

Die Bäume nicken sich's zu.



Sie konnten ihn all erwarten kaum,

Nun treiben sie Schuss auf Schuss;

Im Garten der alte Apfelbaum,

Er sträubt sich, aber er muss.



Wohl zögert auch das alte Herz

Und atmet noch nicht frei.

Es bangt und sorgt: „Es ist erst März,

Und März ist noch nicht Mai.“



O schüttle ab den schweren Traum

Und die lange Winterruh':

Es wagt es der alte Apfelbaum,

Herze, wag's' auch du.



Theodor Fontane (1819-1898)












Donnerstag, 18. April 2019

Ostern


Frühlingsglaube



Die linden Lüfte sind erwacht,

sie säuseln und wehen Tag und Nacht,

sie schaffen an allen Enden.

O frischer Duft, o neuer Klang! 

Nun, armes Herze, sei nicht bang!

Nun muss sich alles, alles wenden.




Die Welt wird schöner mit jedem Tag,

man weiß nicht, was noch werden mag,

das Blühen will nicht enden.

Es blüht das fernste, tiefste Tal:

nun, armes Herz, vergiss der Qual!

Nun muss sich alles, alles wenden!



Ludwig Uhland (1787-1862)

Sophie Lange und Anne Pöttgen wünschen ein frohes Osterfest






Freitag, 5. April 2019

Das haben wir immer so gemacht


von Sophie Lange

Im Frühling wird die Menschheit, besonders der weibliche Teil, von einem ruhelosen Putzwahn erfasst. Alles wird gewienert, geputzt und gefegt. Warum? Da ist die Antwort ganz klar: Das haben wir immer so gemacht. Schon Eva hat vor Frühlingserwachen voller Eifer die Wege im Paradies gefegt und die Baumstämme abgeschrubbt. Im alten Ägypten wurden in einer Großaktion die Pyramiden per Staubwedel abgestaubt und das schwarze Meer wurde dank Persil blütenweiß gewaschen.

Auch die Kleidung wird aufgeschönt. Das haben wir immer so gemacht. Alle wollen wie aus dem Ei gepellt aussehen. Die englische Queen verziert ihre Prachthüte mit taufrischen Plastikblumen und „os Angela“ bringt ihre farbenfrohen Blazer mit Bundeswehr-Unimogs in die Reinigung. Und überall leuchtet es, so zum Beispiel in blau-weiß, eine Kombination, die Mohamed (war ein Prophet) höchstpersönlich ausgesucht hat. So wurde es vor Jahrzehnten zumindest auf einigen Fußballplätzen lauthals geschmettert.

Wer erinnert sich noch daran, dass in Städten und Dörfern die Oberbetten und Decken in die Fenster gelegt wurden, um sie aufzufrischen und den Kohlenstaub aufzusaugen? Heute macht man das nicht mehr, wegen des Feinstaubs, der im Gegensatz zu Kohlenstaub richtig ungesund ist. In der guten alten Zeit wurden die Teppiche nach draußen auf den Rasen geschleppt und mit Rattan-Teppichklopfer so lange bearbeitet, bis sich kein Stäubchen mehr zeigte. Diese robusten Klopfer wurden in kinderreichen Familien auch schon mal als Erziehungsmittel eingesetzt. Raue Sitten, für die es nur eine einzige Entschuldigung gab: Das haben wir immer so gemacht.

Dann der Endspurt: „Auf die Bäume ihr Affen, der Wald wird gefegt!“ Blitzblank muss alles sein, was soll denn sonst der Osterhase denken, wenn es im grünen Forst aussieht wie bei Hempels unterm Sofa. Dieser Tage kam ein Aufruf bei Facebook: Osterhase sucht ehrenamtliche Helfer bei Nester bauen, Eier färben, verstecken, suchen und finden. Hausfrauen stehen kurz vor dem Zusammenbruch, beginnt doch jetzt erst der wahre Hausputz: Schränke und Schubladen aufräumen, polieren, Türen abwischen, Fenster putzen, Vorhänge waschen usw. usw. Tag und Nacht ist die Damenwelt im Einsatz, während die Männer in die Wüste flüchten oder sonst wohin, auf jeden Fall ganz weit weg: Das haben die immer so gemacht.

Endlich ist der Ostersonntagmorgen da  - mit österlichem Frühstückstisch, bunt bemalten Ostereiern und allem was dazu gehört. Doch vor dem Essen kommt das Eierdippen oder auch Eierkippen genannt. Dazu nimmt jeder ein Ei in die Hand, ein Osterei natürlich, und dann wird gestoßen, Spitze gegen Spitze oder Kuppe gegen Kuppe (Spitz op Spitz, Bol op Bol). Sieger ist derjenige, dessen Ei seine harte Schale bewahrt hat. Er bekommt als Lohn das zerdepperte Ei seines Gegners. Hat der Gewinner mehrere „geblötschte“ Eier erspielt, ist der Eiersalat für das Abendmahl gesichert. Und sollte eines der Kinder fragen: Warum macht man so 'nen Hokuspokus? So ist die Antwort wohl klar: Das haben wir immer so gemacht.




Freitag, 29. März 2019

Jeder ist seines Glückes Schmied


von Sophie Lange

In den Seniorengruppen ist das Ergänzen von Sprichwörtern beliebt.  Zuerst kommt die Gruppe allerdings nur langsam in Fahrt: „Aller Anfang ist schwer.“ Aber wenn sie sich einmal warmgelaufen haben, dann läuft es. Die Gruppenleiterin fängt an mit dem Glück. „Glück im Spiel …“ Alle ergänzen im Chor: „Pech in der Liebe.“ Was immer das bedeuten mag.

Martha darf jetzt das nächste Sprichwort beginnen und führt zu: „Glück und Glas wie leicht bricht das.“ Doch Manfred tröstet sie: 'Das Glück ist mit die Doofen.' Wenn dich das Glück meidet, gehörst du also nicht zu „die Doofen.“ Und doch: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ und hat sein eigenes Leben in der Hand. Viele Sprichwörter sind aus Lebenserfahrung entstanden und zu Lebensweisheiten geworden. Und so geht es weiter. Jeder weiß etwas. Alle sind überrascht, wie viele Sprichwörter sie kennen. Im Durchschnitt sind jedem Erwachsenen 300 Sprüche geläufig, hat man festgestellt. Kinder kommen immerhin auf 100 Stück.

In manchen Familien wurden die Kinder früher regelrecht mit Sprichwörtern erzogen. Immer fleißig sein, mussten die lieben Kleinen: „Ohne Fleiß kein Preis“ „Erst die Arbeit, dann das Spiel!“ „Ohne Arbeit kein Essen.“ Und überhaupt: „Arbeit macht das Leben süß.“ Doch da kommt ein Einwand „Faulheit stärkt die Glieder!“ Ist auch nicht zu verachten. Verpflichtungen soll man sofort erledigen: „Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute.“ Die Fleißigen und Klugen haben nicht immer den meisten Erfolg: „Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffel“, weiß man in der Gruppe. Trotzdem werden die Kinder ermahnt: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Und auch der Lehrer weiß: „Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir.“

„Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert“, werden die Kleinen zur Sparsamkeit ermahnt. Wie wichtig Ehrlichkeit ist, sagen gleich mehrere Sprichwörter: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er doch die Wahrheit spricht.“ „Lügen haben kurze Beine.“ „Ehrlich währt am längsten.“ Pünktlichkeit wird so erklärt: „Fünf Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit.“ „Ein bisschen zu spät ist viel zu spät.“ „Besser spät als nie!“ Und „Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige.“

Nicht nur Kinder auch Erwachsene werden durch Sprichwörter zurechtgewiesen. Bescheidenheit ist eine Tugend, die jung und alt beherzigen sollen: „Bescheidenheit ist eine Zier.“ Doch die Erfahrung im harten Lebenskampf hat wohl die allgemein bekannte Ergänzung gebracht „ … doch weiter kommt man ohne ihr.“ Aber immerhin: „Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.“ Wer oft über andere tratscht, muss sich sagen lassen: „Ein jeder kehr' vor seiner Tür, es liegt genug Dreck dafür.“ Ordnung ist das halbe Leben: „Halte Ordnung liebe sie, sie erspart dir Zeit und Müh'.“ Das ließe sich jetzt laufend fortsetzen, denn es gibt einige Tausend deutsche Sprichwörter. Der Bonner Dichter und Philologe Karl Simrock (1802-1876) hat einmal gesagt: „Alle Sprichwörter aufzuschreiben ist so wenig möglich, wie die Sterne zu zählen.“

Pünktlich ist die Seniorenstunde zu Ende. „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.“ Doch jetzt heißt es nur noch im Chor:

                                               „Ende gut, alles gut!“


Samstag, 23. März 2019

Es zieht!

Von Sophie Lange

Die Senioren hatten sich zum Gesprächskreis eingefunden. Als nun die Gruppenleiterin eintrat, riss sie zuerst einmal das Fenster weit auf, um frische Luft einzulassen. Ein gemeinsamer Schrei: Es zieht.

Manche Menschen reagieren sehr empfindlich auf einen Luftzug, auch zu Hause. Dabei sind heute Wohnungen und Häuser, besonders die neuen, gut isoliert. In den alten Häusern war das anders. Da zog es aus allen Ecken und Kanten. Immer wieder scholl der Ruf durchs Haus: Es zieht! Diese Aussage, eigentlich nur eine einfache Feststellung, sollte aber auch sagen: Stellt diesen Luftzug bitte sofort ab. So wurden Decken auf die Fensterbank gelegt und Türritzen mit Lumpen abgedichtet. Manches Loch wurde mit Zeitungspapier ausgestopft und trotzdem zog es noch immer wie Hechtsuppe. Von einem Durchzug, wenn Türen und Fenster geöffnet sind, wollen wir gar nicht reden. Für manchen eine Katastrophe und der Anfang einer Erkältung.

Unsere Vorfahren aus der Antike hatten da ganz andere Sorgen. Bei den ersten Häusern war zwar ein Loch in der Mauer, aber das hatte mit einem Fenster wenig zu tun. Es diente vorwiegend dazu, sich aus der Wohnstatt hinaus verteidigen zu können. Erst nach Jahrhunderten wusste man ein Fenster auch als Lichtspender und Kälteschutz zu schätzen. Um sich vor Durchzüge zu schützen, mussten Tierhäute, Pergament oder Leinenstoff dienen. Dass es trotzdem zog, ist verständlich. Aber vielleicht waren die Menschen früher auch abgehärteter als wir heute.

Im alten Rom gab es dann bald auch Fensterglas. Dadurch wurden Fenster natürlich etwas wetterfester. Aber bis zur Doppel- und Dreifachverglasung war noch ein weiter Weg.

Gern erinnern sich noch Menschen aus der letzten Vergangenheit an die Fensterläden, die von außen geschlossen wurden. Farbig gestrichen gaben sie nicht nur dem Haus, besonders den Fachwerkhäusern, ein buntes Bild, sondern schützten auch vor der Kälte der Nacht. Diese Holzläden hatten jedoch auch Nachteile: Das Fensterln wurde dadurch umständlich.

Was es mit dieser bayrischen Tradition auf sich hatte, das ist eine andere Geschichte.

Freitag, 15. März 2019

Im Märzen der Bauer

von Sophie Lange

 Annerose hat das Bild noch genau vor Augen. Da stand der Lehrer vor der Klasse, den Taktstock in der Hand. Alle Kinder, das waren in der kleinen Dorfschule alle Klassen, wussten, was jetzt kam: Singen. Und schon donnerte die sonore Lehrerstimme: „Aufstehen!“ Alle sprangen hoch und stellten sich neben ihre Bank. Dann das nächste Kommando: „Grade stehen!“ Strammstehen wie bei den Soldaten. So kann man besser atmen und hat mehr Kraft in der Stimme. Das war zumindest die Meinung des Lehrers. Es war März und da kam nur ein Lied in Frage. Die Großen schmetterten es laut und kräftig, die Kleinen sangen leise und zaghaft mit:

Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt,

er setzt seine Felder und Wiesen in Stand.

er pflüget den Boden, er egget und sät

und rührt seine Hände früh morgens und spät.

Inzwischen sieht man in den Feldern keinen Bauern mehr mit seinen Rösslein. Selbst in der tiefsten Eifel nicht. Schwere Traktoren ackern durch flurbereinigte großflächige Felder. Kaum noch eine Hecke, kein Strauch steht im Weg. Und kein Vogel weit und breit.  
Annerose ist ein Naturkind. Das sagt sie von sich selbst. Und das bäuerliche Erbe ihrer frühen Vorfahren weckt im März das Verlangen in ihr, irgendetwas zu säen. Jedoch sie hat kein Feld, keine Wiesen, keinen Garten, aber immerhin einen Balkon. Und so hat sie vor Jahren Wildblumensamen in die Kästen eingestreut. Schon bald sprossen kleine Hälmchen aus der Erde. Annerose freute sich auf eine bunte Sommerpracht. Aber was dann kam waren Kratzdisteln, stachelige Pflanzen, immerhin mit winzigen Blüten. Und dann wuchs noch etwas anderes aus dem Wildblumensamen: Kopfsalat. Annerose schwört, dass es genau so war. Knackige Salatköpfe als Wildblumen! Aber im Lauf der nächsten Wochen streckten dann doch einige Blumen ihre Köpfchen aus der Erde: Kornblumen, Klatschmohn, Margeriten, Malven, Glockenblumen, Schlüsselblumen. Aber im Großen und Ganzen war das Ergebnis frustrierend.

Dieses Jahr will Annerose einen neuen Versuch starten. Denn vor Tagen las sie eine Werbung: Balkonkasten – Pflegeleichte Sommerkinder. Eine bunte Wildblumenwiese illustrierte das Angebot. Optimistisch streut sie jetzt zum Frühlingsanfang - am Mittwoch, den 20. März - den Samen aus, dem man ja nicht ansieht, was daraus wächst. Dazu dichtete sie:

Im Märzen die Frauen den Eimer nehmen zur Hand,

sie bringen das Haus und den Garten in Stand.

Sie wischen und wuseln, streuen Blumensamen aus,

später leuchtet's und blüht' s dann rund um das Haus.

Hoffen wir das Beste, liebe Leser.



        


Freitag, 8. März 2019

Schnäppchen mit Folgen


von Sophie Lange

Neulich erzählte ich hier bei den Seniorenstories unter der Überschrift „Einkauf mit Hindernissen“, dass ich jede Menge Katzen- und Hundefutter gekauft hatte, obwohl wir weder das eine noch das andere Haustier besitzen. Aber das war ein Sonderangebot und sooo billig. Bei so einem Schnäppchen muss man doch zugreifen, dachte ich. Aber diese Aktion hat mir im Nachhinein viel Ärger bereitet. Keiner in der Familie hatte Verständnis für meinen skurrilen Spargedanken. Und überall standen die Kartons mit dem Dosenfutter im Weg.

„Schaff das Zeug raus“, lamentierte mein Mann genervt. Aber wohin damit! Irgendwann ein Geistesblitz: Um das Nachbarhaus strich doch immer eine Katze. Etwas später klingelte ich dort, mit einem Karton Katzenfutter in den Händen. Ich erzählte mein Missgeschick und bot das Futter an – für umsonst. Ganz für umsonst! „Das ist nicht unsere Katze“ reagierte die Frau von nebenan unwirsch. „Wenn ich die jetzt füttere, will die sich hier täglich satt fressen. Nee danke.“ Mit einem Knall schlug sie die Türe zu.
Mir kam eine neue Idee. Ich würde im Garten täglich eine Mahlzeit für herumstreunende Katzen und andere Viecher bereitstellen. Doch dieser Vorschlag fand kein Verständnis bei meinen Lieben. „Dann lass uns doch gleich eine Katze anschaffen“, meinte unser Tochter. Anschaffen! Und fügte noch hinzu: „Kätzchen sind ja sooo süß.“ Doch da sprang unser Sohn dazwischen. „Süüüß!? Wir füttern im Winter die Vögel, damit der Stubentiger sie im Frühjahr auffrisst.“ Und mein Mann unterstützte ihn: „Ins Haus kommt mir keine Katze, überall diese Katzenhaare. Und draußen im Garten hat sich bald eine ganze Horde angesiedelt. Nee, nee, bloß keine Katze!“


Ich witterte Morgenluft. „Dann lieber einen Hund“, schlug ich vor. „Und wer soll täglich mit der stets kläffenden Bestie Gassi gehen?“, fragte der Hausherr und warf einen strengen Blick in die Runde. Wie aus einem Mund kam die Antwort: „Ich hab' keine Zeit.“ Also Hund war auch gestrichen.

Ich machte mich wieder auf zur Nachbarschaft. An einem herrschaftlichen Haus klingelte ich. Die hatten bestimmt eine Katze. Und tatsächlich. Eine auf jung getrimmte Dame in einem legeren lila Hausanzug öffnete. Im Arm ein geschecktes Schmusekätzchen. „Süüüß!“, sagte ich und wollte das Fellknäuel streicheln. Die Süße hielt jedoch nichts von Liebkosungen von Fremden, fuhr die niedlichen Krallen aus und knurrte angriffslustig. So ein kleines Biest! Erschrocken wich ich zurück und trug mein Angebot vor: „Katzenfutter, für umsonst. Ganz für umsonst!“ Die 'gnädige Frau' geruhte einen Blick auf eine Dose zu werfen. „So 'nen billigen Fraß mag mein Isabellchen nicht,“ schnatterte sie hoheitsvoll. Und Isabella, die Schöne aller Schönsten, bestätigte ihr Frauchen mit einem piepsenden “Miau!“ Zum zweiten Mal an diesem Tag knallte vor meiner Nase eine Tür zu.

Mit einem Karton Hundefutter sprach ich nun im Park Leute an, die ihren Hund Gassi führten. Doch alle schauten mich voller Argwohn an. Ein älterer Spaziergänger, an der Leine eine struppige Töle, blaffte mich an: „Das ist wohl geklaut!?“ Der Hund, Rasse Hinterhofkreuzung, unterstützte sein Herrchen und bellte mich wütend an. Ein vorwurfsvoller Hundeblick traf mich. Ich machte, dass ich nach Hause kam.

Dort erwartete mich eine Überraschung. Gemeinsam mit unserem Sohnemann lud der Herr des Hauses die ungeliebten Sonderangebote ins Auto. „Ich habe in einem Tierheim angerufen, in dem herrenlose Tiere Asyl finden,“ erklärte der Filius mit stolz gewölbter Brust. „Dort freut man sich über eine Spende.“ Wieso war nicht mir diese Lösung des Problems eingefallen? Mit Kawumm warf ich die verweigerte Ration Hundefutter ins Auto. 

Nun war die Sache ausgestanden. Doch wenn ich jetzt einkaufen fahre, kommt von der Familie im Chor die bange Bitte: „Mach bloß einen weiten Bogen um Schnäppchen jeder Art.“ „Mach' ich,“ verspreche ich und grunze leise vor mich hin … „wenn's auch schwer fällt.“




Donnerstag, 28. Februar 2019

Junge und alte Möhnen

von Sophie Lange

In aller Frühe des Altweibertages treffen sich einige junge Frauen bei Trude. Diese hat einen Schatz zu Hause, eine Eichentruhe mit lauter Klamotten aus Urgroßmutters Zeiten. Diese sind an diesem Tag genau richtig für das närrische Möhnetreffen (Altweibertreffen). Hier wird nun emsig gestöbert und mit übermütigem Gekicher die ersten Sachen anprobiert. Die langen schwarzen Kleider der Ahnin. -aus handgewebten schafwollenen Stoffen - sind viel zu groß und zu weit. Da wird noch genäht und mit Sicherheitsnadeln hantiert, bis alles halbwegs passt.
Für den Straßenkarneval ist der warme Lodenmantel unverzichtbar. Diesen dunklen Wintermantel nannte man früher Altfrauenmantel oder Möhnemantel. Darüber wird ein großes viereckiges, oft buntes Schultertuch umgeschlagen, das weit in den Rücken fällt. Das Prachtstück der Verkleidung ist jedoch die Kopfbedeckung, weiße haubenartige Mützen mit mannigfaltigen Verzierungen. In einem Karton hat die Ahnin die verschiedensten Arten und Formen gesammelt. Das Aufsetzen löst nun regelrechten Enthusiasmus aus. Die jungen Frauen haben sich endgültig in alte Möhnen verwandelt und stürmen nun hinaus ins närrische Treiben. Unter den vielen bunten Kostümen fallen sie auf in ihrer originalen dunklen Möhnen-Tracht.  Aber der Spaß ist bei allen gleich groß.

Wie alt ist der Altweibertag? Darüber haben manche Volkskundler sich Gedanken gemacht. Einige sehen darin sogar keltische Wurzeln. Nachweislich haben schon die römischen Frauen zum Ausklang des Winters zügellose Frühlingsfeste „in geschlossenen Räumen unter striktem Ausschluss der Männer“ gefeiert. Hier sieht man sogar noch Überbleibsel von den heidnischen Schutzgöttinnen und fragt sich: „Waren vielleicht die ubischen Matronen, die einheimischen Göttinnen der Römerzeit, die Urmütter der Fasenacht?“ (Renate Matthaei: Matronen, heilige Jungfrauen und wilde Weiber, 2001) Weihesteine mit Frauenversammlungen deuten auf Zusammenhänge.  


Foto Sophie Lange

Die heidnischen Frühlingsfeste wurden seit dem 10. Jahrhundert als Fastnacht in das Kirchenjahr eingegliedert, immerhin findet Karneval 40 Tage vor Ostern statt und fordert zum Fasten auf. Selbst im Mittelalter blieb die Fastnacht erhalten, mal mehr, mal weniger. Der Straßenkarneval setzte sich durch. Häufig wurde „die verkehrte Welt“ von Verboten bedrängt. Aber wie wir dieses Jahr wieder feststellen können, hat sie überlebt.
Die gallo-römischen Matronen-Göttinnen als Urmütter des Altweibertages? Das ist zu schön, um wahr zu sein. Und so kommt auch energischer Protest: „Tatsache ist, dass es sich um einen spätmittelalterlichen Brauch handelt, der absolut nichts mit uraltem weiberbündischem Kult zu tun hat... (Alois Döring: Rheinische Bräuche durch das Jahr, 2006)



 Diese Möhne verkauft auf der Kö Krawatten zugunsten der Armenküche. (gemeint ist wahrscheinlich die „Tafel“), Foto gemeinfrei

Freitag, 22. Februar 2019

Einkauf mit Hindernissen


von Sophie Lange
Neulich beim Schwimmen fiel mir ein: „Ich habe kein Waschpulver mehr zu Hause und körbeweise Wäsche.“ Da bin ich nachher noch zum Supermarkt gefahren, habe mir einen Einkaufswagen geschnappt - vielleicht fällt mir noch etwas anderes ein - und rein ins Vergnügen. Zuerst mal das Waschpulver. Meine Marke war zu einer hohen Pyramide aufgestapelt. Ich ziehe das nächstbeste Paket raus und mit einem riesigen Krach fällt das ganze Kunstwerk zusammen. Das war eine Aufregung! Ich bin mit flotten Schritten weitergegangen, als ob ich nichts damit zu tun hätte. Zur Tarnung habe ich schnell einige Kleinigkeiten gekauft, Marmelade und Nutella, Joghurt und Quark, Wurst und Käse.
Und was für tolle Sonderangebote es gab: Schlafanzüge und Bettwäsche, Tasche und Mappen, Hunde- und Katzenfutter. Das Tierfutter war besonders günstig und ich legte gleich mehrere Kartons davon in den Einkaufswagen. Dabei haben wir weder Hund noch Katze. Aber so billig! Da muss man doch zugreifen! Zwei Angestellte waren noch immer mit einem neuen Pyramidenbau beschäftigt. Schielten sie nicht zu mir? Wenn ich jetzt verdächtigt wurde, wurde ich bestimmt verhaftet. Ab zur Kasse! Unterwegs griff ich noch nach „Bückwaren“, günstige Restposten, die sich auf dem untersten Regalbrett versteckt halten.
Es war nur eine Kasse auf: Die Kasse 2. Ich stellte mich in der langen Warteschlange an. Das ging so langsam vorwärts. Aus Langeweile habe ich dann alles in den Wagen geworfen, was so in der Nähe stand. Süßigkeiten und so'n Zeug. Plötzlich rief die Kassiererin: „Sie können schon an Kasse 1 auflegen!“ Was sollte ich denn jetzt machen? Stehenbleiben, rüber gehen? Ich habe überlegt und überlegt. Doch die Leute hinter mir waren entschlussfreudiger und standen längst an Kasse 1. Mit einem Hechtsprung stürmte ich jetzt rüber an die Kasse 1. Natürlich stand ich jetzt ganz weit hinten. Mann, war ich sauer.
Doch da sah ich, dass die Leute vor mir alle den Wagen pickpacke voll geladen hatten. Wocheneinkauf! Und an Kasse 2 ging das auf einmal ganz schnell. Ich wieder hin und her überlegt. Was sollte ich denn jetzt machen? Doch dann - kurzentschlossen - hastete ich wieder zurück zur Kasse 2. Und dann kam auch die junge Frau für Kasse 1. Die sah so gut gelaunt aus. „Einen guten Tag zusammen“, sagte sie fröhlich und schon ging es im Eiltempo los: zack, zack, zack. Nun tat es mir leid, dass ich wieder gewechselt hatte. Was sollte ich denn jetzt machen?  Nee, jetzt musste ich auch an Kasse 2 bleiben. Langsam aber sicher ging es weiter. Nach einer gefühlten halben Stunde war ich schon fast an dem Fließband, da sagte die Kassiererin: „Legen Sie bitte nicht mehr auf, die Kasse wird geschlossen.“ Jetzt musste ich wieder zurück zu Kasse 1. Wie schon Gewohnheit musste ich mich hinten anstellen. Mann, war ich sauer!
Nach einer weiteren halben Stunde – gefühlte – konnte ich tatsächlich meine Sachen auf das Band legen. Plötzlich kommt von hinten so ein Machotyp und sagt ruppig: „Können Sie mich vorlassen?“ Ich wollte ja eigentlich nicht, aber der drängte sich einfach vorbei und sagte: „Ich habe doch nur zwei Teile.“ Das war eine Flasche Orangensaft und ein Becher Schokoladenpudding. Da konnte ich nun nix machen. Ich blieb dem Typ aber hart auf den Fersen, damit sich nicht noch einer vordrängte. Als der Macho an der Reihe kam, tippte die Kassiererin den Betrag ein. Der Typ wollte wohl nach seinem Portemonnaie greifen, griff gleichzeitig nach seinen Einkaufssachen, griff daneben – wie auch immer – auf jeden Fall, fielen Flasche und Pudding mit einem lauten Knall zu Boden. Beides platzte auf. Das war ein Matsch. Der klebrige Saft und der dunkelbraune Pudding – das sah aus wie hingesch...., ihr wisst schon. Mir ist auf jeden Fall für alle Zeiten die Lust auf Schokopudding aus dem Supermarkt vergangen.
Die Frau an der Kasse war jetzt gar nicht mehr so gut gelaunt, „Jetzt kann ich den Dress auch noch putzen“, schimpfte sie auf dem Weg, Putzeimer und Putzlappen zu holen. Der junge Typ drehte sich zu mir und sagte ganz dreist: „Sie sind das schuld. Sie haben mich gestupst.“ Da kam gerade die Kassiererin mit ihren Putzsachen und rief dem Typen zu: „Junger Mann, ich hab das schon eingetippt, Sie müssen das bezahlen.“ Der blieb gelassen: „Nee, die Frau bezahlt, die hat mich gestupst.“ Jetzt konnte ich hundert Mal rufen: „Das stimmt nicht.“ Der Typ ging einfach lachend raus. Mann, war ich sauer.

Doch endlich kamen auch meine Sachen dran. Zack, zack, zack! Ich konnte gar nicht alles so schnell in den Wagen packen. „52,95“ war schließlich die Endsumme, inklusive Saft und Matsch-Pudding. Ich griff aus dem Portemonnaie einen 50 Euroschein, wollte noch Kleingeld rausholen, aber – oh heiliges Kanonenrohr – da waren nur ein paar Cent. „Ich habe zu wenig Geld“, sagte ich entschuldigend, wobei mir vor Verlegenheit die Röte ins Gesicht stieg. „Auch das noch“, schimpfte die Hüterin der Finanzen „dann muss ich etwas wegnehmen,“ schnappte sich das Waschpulver, ließ es in dunkle Tiefen verschwinden und gab mir mit einem „Einen schönen Tag noch“ 5 Cent zurück. Schon war sie bei dem nächsten Kunden. Und ich nix wie raus, eilte zum Auto, belud den Kofferraum. Mann, was hatte ich alles gekauft. Nur Waschpulver hatte ich noch immer nicht. 

Einen schönen Tag noch.