Freitag, 20. September 2019

Ich möchte gar kein Brötchen

von Anne Pöttgen


Es ist Samstag, der Tag, an dem es in der Seniorenresidenz zu Mittag Suppe gibt. Nicht nur eine Geschmacksrichtung, sondern vier verschiedene. Man weiß doch, was man seinen gut zahlenden Bewohnern schuldig ist. Heute also: Hühnersuppentopf, Rindersuppentopf, Gemüsesuppentopf und Lübecker Möhrensuppentopf. Dazu gibt es üblicherweise Brötchen, klein und ganz lecker, Tafelbrötchen. Frau Müller und Frau Meier haben den Hühnersuppentop gewählt, Frau Schmitz hatte sich für den Möhrentopf entschieden. Die Suppen wurden in Terrinen serviert, die Brötchen standen bereits auf dem Tisch. Aber – es waren nur zwei. Hastig wurde die Speisekarte konsultiert. Da stand es schwarz auf weiß: Frau Müller und Frau Meier hatten Anspruch auf ein Tafelbrötchen.
„Liebe Frau Schmitz, Sie können gern mein Brötchen haben.“ Die immer freundliche Frau Müller wandte sich Frau Schmitz zu.
„Nett von Ihnen, aber ich möchte eigentlich gar kein Brötchen“, antwortete Frau Schmitz, die noch die Karte in der Hand hielt. Was stand also bei ihrem Gericht, dem Lübecker Möhrentopf? Das wollte sie jedenfalls wissen: Tischbrötchen. Tischbrötchen, was war wohl der Unterschied zum gängigen Tafelbrötchen? Das wollte sie auch wissen und so rief sie die Bedienung an den Tisch und fragte, was denn der Unterschied zwischen den Brötchen sei.
„Das weiß ich leider nicht, da muss ich in der Küche nachfragen.“ Weg war sie.
Aber schon war Herr Meier-Lüdenscheid vom Nachbartisch aufgestanden, in der Hand ein Tellerchen mit einem kleinen Brötchen, Tisch- oder Tafelbrötchen war nicht zu erkennen. „Bitte, Frau Schmitz, nehmen Sie meins.“
„Danke, Herr Müller-Lüdenscheid, ich möchte gar kein Brötchen.“ Er ging zurück an seinen Platz samt seinem verschmähten Brötchen. Na, dann nicht, sagte sein Gesichtsausdruck – da will man mal freundlich sein …


Die Suppe war aufgetischt, man beginnt zu essen. Da schreckt Frau Meier auf, mit ihrem Tafelbrötchen in der Hand. „Liebe Frau Schmitz, Sie haben ja gar kein Brötchen, möchten Sie meins – obwohl, ich habe es ja leider schon zum Teil aufgegessen.“
„Das  ist  sehr  freundlich,“ sagt Frau Schmitz, der Ton jetzt leicht gereizt, anscheinend döste Frau Meier mal wieder vor sich hin, denkt sie. „Aber ich will gar kein Brötchen!“ Frau Meier schaut verblüfft, den Ton kennt sie gar nicht von Frau Schmitz. Stumm beißt sie ins Tafelbrötchen.
Da naht die Bedienung. „Es gibt gar keinen Unterschied bei den Brötchen – und hier ist Ihres, Frau Schmitz, entschuldigen Sie bitte, dass ich es erst jetzt bringe.“
„Danke,“ sagte Frau Schmitz

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