Donnerstag, 27. Dezember 2018

Dezember - von Erich Kästner


Das Jahr ward alt. Hat dünnes Haar.
Ist gar nicht sehr gesund.
Kennt seinen letzten Tag, das Jahr.
Kennt gar die letzte Stund.


Ist viel geschehn.Ward viel versäumt.
Ruht beides unterm Schnee.
Weiß liegt die Welt, wie hingeträumt.
Und Wehmut tut halt weh.


Noch wächst der Mond. Noch schmilzt er hin.
Nichts bleibt und nichts vergeht.
Ist alles Wahn. Hat alles Sinn.
Nützt nichts, dass man's versteht.


Und wieder stapft der Nikolaus
durch jeden Kindertraum.
Und wieder blüht in jedem Haus
der goldengrüne Baum.


Warst auch ein Kind. Hast selbst gefühlt
wie hold Christbäume blühn.
Hast nun den Weihnachtsmann gespielt
und glaubst nicht mehr an ihn.


Bald trifft das Jahr der zwölfte Schlag.
Dann dröhnt das Erz und spricht:
Das Jahr kennt seinen letzten Tag
und du kennst deinen nicht.

Freitag, 21. Dezember 2018

Alle Jahre wieder ...

von Sophie Lange

 … kommt der kleine Lord. Die Weihnachtstage sind voller Traditionen. Da macht auch das Fernsehen keine Ausnahme.

So steht der sentimentale Film „Der kleine Lord“ fast immer an den Feiertagen im Programm, ein Film, den man sich nur zu Weihnachten ansehen mag, egal ob man ihn nun als romantisch oder kitschig bewertet. Weihnachten ist bekanntlich keine Zeit, sondern ein Gefühl. Und so bringt ein süßer, braver Junge die richtige weihnachtliche Stimmung unter den Tannenbaum. Klar, dass er auch das Herz des mürrischen, stets übelgelaunten Großvaters berührt. Ein solcher Schmarren kann nur mit einem Happy End abschließen.

Ein Märchenfilm hat über Jahre hinweg dem kleinen Lord den Rang abgelaufen: Drei Haselnüsse für Aschenputtel. Den tschechischen Märchenfilm, in dem ein fleißiges Mädchen die Herzen der Zuschauer gewinnt, kann man sich zu allen Tages- und Nachtzeiten und auf allen Programmen immer wieder ansehen. Mein absoluter Lieblingsfilm! Für das weihnachtliche Knistern sorgt besonders eine funkelnde Schneelandschaft. Das Weiß vom Himmel kam wie bestellt, als der Film gedreht wurde. Leider klappt das nicht immer. So kommt zwar Ende Dezember Weihnachten und irgendwann auch Schnee, aber beides zusammen, das passiert nur selten.

Hat man die Film-Weihnachtstage überstanden, ist noch lange nicht Schluss mit den Klassikern. Silvester wird dominiert von dem Lustspiel „Dinner for one“. Selbst wenn man die einzelnen Szenen fast auswendig kann, muss man es sich immer wieder ansehen und herzhaft lachen.

Dann ist aber endgültig Schluss mit Film und Fernsehen und frohe Weihnachten. Jetzt muss ein Buch her, am besten ein Krimi, spannend und gruselig. 

Freitag, 14. Dezember 2018

Das Christkind backt


von Sophie Lange

Am frühen Morgen klang ein Freudenruf aus dem Kinderzimmer: „Das Christkind backt,“ riefen die Kinder und zeigten zum feuerroten Himmel. Gleich hatten die Kinder ein Bild vor Augen. Über den Wolken eine Riesenbackstube, in der unzählige Engel herum wuselten: Teigzutaten mischten, kneteten, ausrollten, Sterne ausstachen. Und auf einem hohen Thron saß das Christkind und gab Anordnungen. Ein sicheres Zeichen, dass Weihnachten nicht mehr fern war.

Als die Kinder aus der Schule kamen, waren sie gespannt, ob das Christkind ihnen etwas aus der Weihnachtsbäckerei gebracht hatte. Es roch gut im Haus, nach frischem Gebäck, nach Weihnachten. Schon stürmten die Kinder zu den Schränken, rissen Türen auf, durchwühlten Schubladen, überprüften Töpfe und Pfannen. Aber nirgendwo Weihnachtsgebäck. Dabei war doch ganz eindeutig ein frischer Backgeruch auszumachen. Sie entdeckten zwar eine Blechdose mit Weihnachtssymbolen. Inhalt, einige Krümel vom vorigen Jahr. 

„Das Christkind bringt erst am Heiligen Abend die weihnachtlichen Leckereien,“ tröstete die Mutter. Aber das waren ja noch Tage! Weihnachten! Zeit der Wunder, Zeit der Überraschungen. 

Ja, die Überraschung kam dann auch prompt. Beim Einkaufen im Supermarkt standen die Kinder plötzlich stumm vor einem Regal, das ganz mit Weihnachtsgebäck beladen war: Spekulatius, Printen, Spritzgebäck, Dominosteine usw., usw. Das gibt’s doch gar nicht. Da ist zu Hause kein Stück Gebäck und hier liegt es in Massen.

Die Kinder waren echt sauer. Und abends schrieben sie dann einen Brief an das Christkind: „Liebes Christkind, das ist aber nicht nett von Dir. Supermärkte belieferst du und uns lässt du leer ausgehen. Du bist gar nicht so lieb, wie Du tust...“ Ja und dann kamen allerlei Beschimpfungen. Aber die wollen hier nicht aufgeführt werden.


Freitag, 7. Dezember 2018

Panik im Lichterglanz


von Anne Pöttgen

Drei – zwei – eins – Licht!  Am Baum erstrahlen die Kerzen, große und kleine, und von den Seniorinnen und Senioren erschallt ein oh und ah. Der Direktor wünscht eine schöne Adventszeit und animiert dazu, vom Glühwein zu trinken. Die Bläser intonieren „Oh Tannebaum“ und Damen- und Männerstimmen kommen dazu. Das Singen im Singkreis lohnt sich also doch, die Töne kommen klar und fest.'Man nickt sich zu, wispert ein paar zustimmende Worte. Die Stimmung ist heiter bis besinnlich. Eben angemessen. Auch Johanna, Gerda, Susanne und Edeltraud nehmen teil.
“Was ist das denn da?“ Johanna schüttelt ihren weißen Kopf und guckt empört. Susanne blickt in dieselbe Richtung und lacht. „Kaum einen Schluck getrunken und schon beschickert.“ Nun schauen alle vier hin und schütteln einträchtig den Kopf.
Der Direktor löst sich von seinen Gesprächspartnern und eilt zu Hilfe. Keine Sekunde zu früh, eine alte Dame findet keinen Halt, torkelt weiter und droht zu stürzen, der Gehstock poltert zu Boden. Er hakt sie unter und führt die Dame hinein ins Haus. Da gibt es Sessel genug.
Kaum ist er wieder auf der großen Terrasse, deren Mittelpunkt der Baum bildet, da schießt ein Rollator an ihm vorbei, Frau Müller klammert sich verzweifelt an das Gerät, ihre Füße können nicht folgen, auch sie droht zu stürzen. Der Direktor ist inzwischen kreidebleich geworden und blickt nervös um sich. Frau Müller wird von zwei kräftigen älteren Herren aufgehalten und fürsorglich ins Haus gebracht. Was ist los?
„Der Glühwein kann nicht schuld sein, ist doch mehr Orangensaft als Wein“, bemerkt Edeltraud. Sie stellt ihr Glas aber vorsichtshalber auf einem Serviertisch ab.
„Schnell weg damit“, sagt sie. „Wer weiß, was drin ist.“ Die übrigen Drei tun es ihr gleich.
„Mir hat er nur nach Glühwein geschmeckt und ich steh‘ auch fest auf meinen Beinen“, erwidert Johanna.
„Ich auch“, kommt es von Gerda und Susanne unisono.
„Wo haben denn die Gläser gestanden, bevor man sie hier herausgebracht hat?“ fragt Johanna.
„Was willst du damit andeuten?“, fragt Edeltraud.
„Es muss doch einen Grund geben, warum so etwas …“ Johanna stockt und deutet schweigend auf einen der Bewohner, der dicht vor dem Baum steht, nein stand. Er hat hinter sich gegriffen und einen Zweig zu fassen bekommen. Die Lichter blinken hektisch, aber der Baum steht still. Der Mann sinkt zu Boden, lockere Kerzen folgen.
„Ein Notfall, ein Notarzt, zu Hilfe“, tönt es von allen Seiten. Dann Stille. Alle blicken sich um, ob etwa noch jemand zu Boden gegangen ist.
„Da, da drüben!“, Susanne hebt ihren Arm und weist in die Richtung schräg hinter dem Baum. Tatsächlich. Eine Gestalt, verkrümmt und jammernd.
„Wenn das mal keine Panik gibt …“ unkt Gerda.
Und tatsächlich – alles schiebt sich hastig in Richtung auf die Tür, die ins Haus führt. „Schubsen Sie mich nicht!“, ertönt eine schrille Stimme.
„Weg da!“, eine andere, laut und deutlich, irgendwie brutal.
„Bitte bleiben Sie ruhig!“ Die Stimme des Direktors zittert, was nicht zur Beruhigung beiträgt.
„Es kann Ihnen doch nichts passieren. Stellen Sie die Gläser ab. Aber bitte vorsichtig, damit nichts zerbricht.“ Einer der Bewohner nimmt das Heft in die Hand, wahrscheinlich aus alter Gewohnheit. Aber schon hört man das Zersplittern von Glas, das leise Knirschen unter den Schuhen. Blindlings schiebt man sich weiter, restlicher Glühwein schwappt über auf die Kleidung des Vordermannes oder der Nachbarin. Wenigstens ist er nicht mehr heiß.
Dann ertönt das erste Martinshorn, alle bleiben stehen, wie auf ein Kommando. Gott sei Dank, Hilfe naht. Noch ein Wagen, ein weiterer. Die Helfer springen heraus, Bahren werden geschultert, Rufe ertönen. Man sucht nach den Opfern. Die sitzen im Zweifel noch in der Halle, das Laufen hatte ja schon vorhin nicht geklappt.
„Bitte machen Sie doch Platz“, drängeln die Sanitäter und die Ärzte.
„Ja, wie denn?“ kreischt es erbost. Ja, wie? Ein dichter Pulk vor einer schmalen Tür.
Der Mann oder die Frau, die hinter dem Baum gelegen hatte, wird als Erste auf eine der Bahren gehoben. Niemand hatte sich um die Gestalt gekümmert. Die Sanitäter stellen die Bahren ab, unter dem Baum ist ja jetzt Platz. Behutsam schieben sie sich durch die verschreckte Menge und regeln am Eingang, wie man langsam und ruhig in die Halle kommt. Hinter ihnen der Direktor, immer noch leichenblass. Die Blaskapelle hat sich still und leise entfernt, wahrscheinlich bangen sie um ihre Instrumente.
„Bitte bleiben Sie nicht in der Halle, sondern lassen Sie uns Platz frei für unsere Arbeit.“
„Es sei denn, Sie brauchen selbst Hilfe,“ sagt ein anderer.
Das hätte er besser nicht gesagt: Schon bleiben einige stehen und scheinen sich zu befragen, wie es ihnen denn geht. Schlecht. Sie greifen nach den Sanitätern und versperren den Nachgerückten den Eingang. Manche krallen sich förmlich fest, andere haben die Hände über den Kopf geschlagen, wieder andere scheinen mit beiden Händen Magen und Darm zu befragen.

„Massenpanik im Altenheim, wäre ne gute Schlagzeile.“
„Einen seltsamen Humor hast du, liebe Susanne,“ sagt mit strenger Miene Edeltraud.
„Außerdem ist das hier kein Altenheim, sondern eine Seniorenresidenz!“, mischt sich eine Nachbarin ein, die mit den vier Damen an ihrem Platz geblieben ist. Sie rückt ihren Pelz zurecht, wirft noch einen giftigen Blick auf Susanne und geht stolz erhobenen Hauptes Richtung Eingang.
Edeltraud, Johanna, Gerda und Susanne rätseln bereits, wer da möglicherweise etwas in einige Glühweingläser geschüttet haben könnte.





Freitag, 30. November 2018

Advent


von Rainer Maria Rilke

Es treibt der Wind im Winterwalde
Die Flockenherde wie ein Hirt,
Und manche Tanne ahnt wie balde
Sie fromm und lichterheilig wird.

Und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
Streckt sie die Zweige hin – bereit,
Und wehrt den Wind und wächst entgegen
Der einen Nacht der Herrlichkeit.

Freitag, 23. November 2018

Treffpunkt


von Sophie Lange

In jedem Dorf gab und gibt es Treffpunkte, wo Neuigkeiten ausgetauscht werden. Für die Männer sind das die Kneipen, wo sie an der Theke sich unterhalten und diskutieren können.
Für Frauen war das früher, also noch früher als früh, der Dorfbrunnen, aber Frauen diskutierten – laut Männermeinung – nicht. Sie geben sich dem Klatsch und Tratsch hin: Wer mit wem und wer mit wem nicht mehr, wer krank oder gesund, wer geerbt hat oder wer enterbt worden ist, wer reich ist oder bettelarm, wo der Haussegen schief hängt und warum. Da konnte man wirklich staunen, das hätte man den Dörflern gar nicht zugetraut. Wenn frühmorgens Lenchen aus dem Unterdorf noch den Schnupfen hatte, so hatte sie abends schon eine Lungenentzündung. Gerüchte wachsen mit zunehmendem Tageslicht.

Später war es der Tante Emma-Laden, wo Frauen Gelegenheit hatten, ihr Mitgefühl für andere durchzuhecheln. Da wusste man auch, was beim Nachbarn mittags auf dem Tisch stand: Heringe oder schon wieder Eintopf. Die Kinder wurden ausgefragt, was Mama kochte. Die kleine Franziska erklärt mal stolz: Bei uns gibt es jeden Tag Grompere mit Kartoffel. Also Kartoffel mit Kartoffel. Das war dann schon ein Dorfgespräch. Es passierte ja sonst nichts? Oder doch: Da wurde der Pfarrer von einem Hund in die Wade gebissen und Sabine hatte sich schon wieder ein Paar neue Schuhe gekauft. Und seit kurzem hatten einige Ziegen hier ihr Heim gefunden.

Und wo trifft man sich heute? Christa hat es mir erklärt: auf dem Friedhof. Sie berichtet: Wenn ich zum Friedhof gehe, treffe ich immer andere aus dem Dorf und dann weiß ich bald alle Neuigkeiten. Heute geht es um Krankenhausaufenthalte, Operationen, Unfälle, Scheidungen und so weiter. Und wenn keine Besucher da sind, versucht Christa ein Schwätzchen mit den Toten. Die haben so manches Geheimnis mit ins Grab genommen. Aber leider schweigen sie wie ein Grab.

Freitag, 16. November 2018

Vom Land in die Stadt


von Anne Pöttgen

Wenn Seniorinnen vom Land – Hochdahl – in die Stadt – Köln – reisen, dann ahnen sie, dass das nicht so einfach sein wird. Die Vorfreude war da: Buch-Event,  verkaufen, signieren, quatschen, aber die Vorangst auch (gibt es laut Duden nicht).
Die A 46, dann die A 57 – hunderte Male befahren, dachte die Seniorin. Womit sie nicht gerechnet hatte: Sonnenschein von links, sehr niedrig stehend und keine Sonnenblende am Kleinwagen.
Eine angenehme Überraschung war der glatte Übergang der A 57 in die Straße, an der das angesteuerte Hotel liegt, die Innere Kanalstraße. Gott sei Dank hatte sich die Seniorin auf Google Maps angesehen, wie das Hotel aussieht. Groß, mit schmalen Fenstern. Sie wähnte sich gewappnet. „Sie haben Ihr Ziel erreicht“, tönte es aus dem Navi und das stimmte auch: ein riesiges Haus mit schmalen Fenstern. Aber – wo ist eine Einfahrt zur angekündigten ebenfalls riesigen Tiefgarage? Großes Fragezeichen. Also die nächste Möglichkeit genutzt, rechts abzubiegen, da würde schon ein Hinweis kommen.
Kein Hinweis, Spürsinn gefragt. Erstmal hinter dem Hotel parken, keine Schwierigkeit für den Kleinstwagen. Am Hintereingang beim Personal gefragt, freundlich Auskunft bekommen. Einmal rund ums Hotel, wie die Seniorin inzwischen selbst vermutet hatte. Vor der Rückkehr auf die Innere Kanalstraße eine Rechtsabbiegespur, aber auch die Einfahrt zur Tiefgarage – leider übersehen. Also eine weitere Runde und  auf den Platz vor dem Hotel abgebogen, Schranke. Knopf geht nicht. Keine Parkkarte. Hinweis: Rufdienst zur Rezeption leider gestört, bitte selbst melden. Zurücksetzen – es könnten ja andere Besucher kommen, aussteigen, zur Rezeption. Ein freundlicher junger Mann kommt mit zur Schranke, löst das Ticket und die Seniorin fährt unter den Blicken zahlreicher Menschen zur Tiefgarage.  Das Parken klappt. Der Aufzug gleich gegenüber, die Parkplatznummer leicht zu merken: 232.
Angemeldet, Zimmerkarte. Ja, die Seniorin wollte übernachten, im Dunkeln nach Haus, das geht gar nicht – mehr.
Im Aufzug ein neues Erlebnis für die Seniorin vom Lande. Bevor der Aufzug sich in Bewegung setzen darf, muss die Zimmerkarte irgendwohin gehalten werden. Aber wo? Raus aus dem Aufzug, wieder ein netter junger Mann, sehr hilfreich im Erklären. Eigener Versuch: Karte an vorgesehene Stelle, gleichzeitig Etagennummer. Nix. Zweiter Versuch: Etwas kräftiger auf die Etagennummer gedrückt – klappt. Ich bin drin.
Aber wie kommt man am nächsten Morgen wieder raus? Das Parkticket ist bezahlt, wo kann man es einstecken? Das riesige Rolltor ist nämlich geschlossen. Wieder zurückgesetzt, rein in den Aufzug, bei der Anmeldung nachfragen.
„Sie müssen bis dicht vor das Rolltor fahren, dann klappt‘s.“ Verständnisvolles Lächeln einer älteren Dame, die sich gerade anmeldet – vielleicht auch vom Lande?

Freitag, 9. November 2018

Was kann ich für Sie tun?


von Sophie Lange

Gleich im ersten Laden bei meiner Shopping-Tour werde ich mit weit ausholender Gestik und strahlendem Blickkontakt begrüßt: „Was kann ich bitte für Sie tun, junge Frau?“ Das wohl spöttisch gemeinte „junge Frau“ kontere ich mit einem „alter Mann“ und versichere, dass ich mich nur mal umschauen will. Wie auf Druckknopf erloschen die Dollarzeichen in den Augen des Verkäufers. Kein Interesse mehr an der „jungen Frau“ im reifen Alter!

Mir fällt der Roman des Mongolen „Galsan Tschinag „Kennst du das Land“ ein, der beim Studium in Leipzig das deutsche Kulturgut kennenlernen will. Zunächst ist er von der Freundlichkeit der Leipziger fasziniert. Doch dann schnappt er ein Wort auf, das ihn nachdenklich macht: scheiß-freundlich. Er setzt das zunächst mit „unfreundlich“ gleich, doch bald wird ihm erklärt, dass es sich um zwei unterschiedliche Bedeutungen handelt. Was nun schlimmer ist, scheiß-freundlich oder unfreundlich, das muss er selbst rausfinden. 

Ganz anders kommt die Frage „Was kann ich für Sie tun?“ im Krankenhaus rüber. Hier ist wirklich das Angebot gemeint, Hilfe zu leisten und Erleichterung zu verschaffen. Und Kranke sind sehr dankbar für jede kleinste Annehmlichkeit, wenn kundige Ärzte oder hilfsbereite Krankenschwestern bereitstehen. Hier ist seitens des Kranken stets ein Bitte und Danke angebracht, denn diese „Zauberwörter“, wie man sie Kindern immer interessant macht, sollen auch Erwachsene nicht vergessen.


Donnerstag, 1. November 2018

Auf dem Friedhof


von Sophie Lange

Im November, dem Toten- und Trauermonat, führt so mancher Gang zum Friedhof, um die frisch geschmückten Gräber von lieben Verstorbenen zu besuchen. Und das oft bei eisiger Kälte. Da wird so manche Erinnerung geweckt.

In den Dörfern  war es üblich, dass praktisch das ganze Dorf einem verstorbenen Dorfbewohner „die letzte Ehre gab“. Da waren auch wir Kinder nicht ausgeschlossen. Ich hatte immer Sorge, dass ich auf dem Friedhof zu weinen anfing. Das wollte ich nicht. So biss ich mir auf die Lippen und dachte mir lustige Geschichten aus. Aber irgendwann passierte es dann doch.

Wenn der Verstorbene Mitglied in einem Verein war – und das war praktisch jeder -, spielte die Musikkapelle am offenen Grab die Melodie vom guten Kameraden  Das Soldatenlied gehörte zum Repertoire meines Vaters, und so konnte ich den Text leise mitsingen:

Ich hatt' einen Kameraden,
einen besseren find'st du nit.
Die Trommel schlug zum Streite,
wir gingen Seit an Seite
im gleichen Schritt und Tritt.

Bei der zweiten Strophe hatte ich ein genaues Bild vor Augen. Vielleicht hatte ich es mal in einem Kriegsfilm oder in einem Buch gesehen. Und spätestens jetzt flossen die Tränen.

Eine Kugel kam geflogen,
gilt sie mir oder gilt sie dir.
Ihn hat sie umgerissen,
er liegt zu meinen Füßen,
als wär's ein Stück von mir.

Mit tränenerstickter Stimme sang ich die dritte Strophe und sah vor mir den sterbenden Soldaten mit erhobener Hand. Das war so traurig:


Will mir die Hand noch reichen,
derweil ich eben lad'.
Kann dir die Hand nicht geben,
sei du im ewigen Leben
mein bester Kamerad.

Schluchzend verließ ich mit meinen Eltern den Friedhof. Voll Trauer über den Verstorbenen, den unbekannten Soldaten und das ganze Elend der Welt. Jetzt sah ich, dass auch andere Dorfbewohner weinten. Das tröstete irgendwie.

Der Friedhof, ein Platz, an dem man weinen kann.




Samstag, 27. Oktober 2018

und kam die goldene Herbsteszeit


von Sophie Lange



Es ist erstaunlich, wie Leute noch im hohen Alter ellenlange Gedichte herunterrasseln, die sie einst in der Schulzeit gelernt haben. In Familienfeiern rezitiert Onkel Franz-Josef mit Vorliebe „Die Bürgschaft“ von Friedrich von Schiller:

„Zu Dionys, dem Tyrannen schlich,

Damon, den Dolch im Gewande;

Ihn schlugen die Häscher in Bande.....

Und dann geht es ohne Stottern und Verweilen die ganze Ballade hindurch und das sind immerhin 20 Strophen. Die anderen hören fasziniert zu. Erst die letzten zwei Zeilen sprechen alle gemeinsam:

Ich sei, gewährt mir die Bitte,In eurem Bunde der dritte.

Jedes Jahr sagt die 80jährige Maria die dramatische schottische Ballade „Die Glocke von Innisfare“ von  Friedrich Halm (1806-1871)auf.

Weihnachtsabend, Fest der Kleinen,

wie sie harren auf dein Erscheinen,

wie mit freuderoten Wangen

jubelnd laut sie dich empfangen!


Auch hier jedes Mal Staunen über das perfekte Langzeitgedächtnis, das über 200 Zeilen ohne Stottern und mit gekonnter Vortragskunst auswendig aufsagt. 
Ein Gedicht, das alle kennen, alt und sogar jung, ist die Ballade von Theodor Fontane „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland. Für alle, die sich nicht so ganz sicher sind, ist sie hier wiedergegeben..



Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland

von Theodor Fontane (1819-1898)

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,

Ein Birnbaum in seinem Garten stand, 

Und kam die goldene Herbsteszeit

Und die Birnen leuchteten weit und breit,

Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,

Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,

Und kam in Pantinen ein Junge daher,

So rief er: „Junge, wiste 'ne Beer?“

Und kam ein Mädel, so rief er: „Lütt Dirn,

Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.“



So ging es viele Jahre, bis lobesam

Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.

Er fühlte sein Ende, s'war Herbsteszeit,

Wieder lachten die Birnen weit und breit;

Da sagte von Ribbeck: „Ich scheide nun ab,

Legt mir eine Birne mit ins Grab.“

Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,

Trugen von Ribbeck sie hinaus,

Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht

Sangen: „Jesus meine Zuversicht“,

Und die Kinder klagten, das Herze schwer:

„He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?“



So klagten die Kinder. Das war nicht recht

Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;

Der neue freilich, der knausert und spart,

Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.

Aber der alte, vorahnend schon

Und voll Misstrauen gegen den eigenen Sohn,

Der wusste genau, was damals er tat,

Als um eine Birne ins Grab er bat,

 Und im dritten Jahr, aus dem stillen Haus,

ein Birnbaumsprössling sprosst heraus.



Und die Jahre gehen wohl auf und ab,

Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,

Und in der goldenen Herbsteszeit

Leuchtet's wieder weit und breit.

Und kommt ein Jung übern Kirchhof her,

So flüstert's im Baume: „Wiste 'ne Beer?“

Und kommt ein Mädel,so flüstert's „Lütt Dirn,

Kumm man röwer, ick gew di 'ne Birn.“



So spendet Segen noch immer die Hand

Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.







Übrigens:

Die Geschichte vom Birnbaum auf Ribbeck und der Fruchtbarkeit nach dem Tode war bereits vor Fontane schon in Verse gefasst worden und zwar 1875 von der Gräfin Hertha von Witzleben, der Enkelin des Herrn Karl Friedrich Ernst von Ribbeck. Fontane hat die Idee dann übernommen (um es freundlich auszudrücken).

Freitag, 19. Oktober 2018

Als die Herbstferien noch Kartoffelferien hießen


von Sophie Lange

Heute werden die zweiwöchigen Herbstferien gerne für einen Kurzurlaub mit der Familie genutzt. In meiner Kindheit waren die schulfreien Wochen im Oktober harte Arbeitswochen, denn die Kartoffelernte stand an. Und allein dafür waren die Ferien, die bis etwa 1950 Kartoffelferien hießen, gedacht.

Schon am frühen Morgen, wenn noch Nebelwellen durch die Flusstäler zogen, stiegen Mann und Frau, Knechte und Mägde, Kind und Kegel jeden Alters auf das Pferdefuhrwerk und ab ging es auf den Kartoffelacker am Waldrand.
Während die Männer mit dem Dreizack (in der Eifel Kaasch genannt) die Erdfrüchte aus dem feuchten Boden gruben, lasen Frauen und Kinder die Erdäpfel auf und sortierten diese nach Größe in Körbe. Sobald eine „Mang“ voll war, schütteten die Männer sie in Säcke.
Mittags war die erste Fuhre fertig, um nach Hause gefahren zu werden. Auf dem Rückweg transportierte sie dann einen großen Kochtopf, in dem den ganze Morgen hindurch eine dicke Erbsensuppe auf dem Herd gebrodelt hatte. Jeder bekam einen Löffel und von einem Bauernbrot eine Kante und dann ging das lustige Schmausen aus dem großen Topf los.
Der Vater erzählte dann gerne von den „Nüng van  Hiddehofen“, die bereits 1730 die Frucht aus Amerika für sich entdeckt hatten. Neun Familien gab es damals nur in dem Dorf Heddinghofen im bergischen Land und erst 100 Jahre später konnten die „Nüng van Hiddehofen“ auch andere Dörfer von dem Sattmacher Kartoffel überzeugen.
Ein Tag auf dem Feld war lang und hart. Wir Kinder freuten uns auf den Abend. Denn dann wurde vom Kartoffellaub ein Feuer angezündet und darin wurden kleine Pellkartoffel gegart. Mit einem Ast holten wir die garen Kartoffel aus der Glut. Das Schönste an diesem Essen war, dass wir alle zusammen saßen, eine große Familie, eine große Gemeinschaft. Und irgendwann stimmte der Vater unser Lieblingslied an: Kein schöner Land in dieser Zeit.

So ein Abend ist mit einem Urlaubstag an irgendeinem Strand nicht zu doppen. 

Freitag, 12. Oktober 2018

Urlaubsfotos


von Sophie Lange

„Ob die Kinder heute mit den Fotos kommen?“, überlegten die Großeltern. Während der Ferien waren Kinder und Enkel in Urlaub gefahren, der Sohn mit Familie an den Bodensee, die Tochter nach Mallorca. Sie hatten versprochen, viele Fotos zu schießen, um die  Eltern am Urlaub teilhaben zu lassen. Jetzt warteten sie auf die versprochenen Bilder.
„Das dauert vielleicht etwas, bis die Fotos entwickelt sind“, meinte der Opa, und Oma hielt es sogar für wahrscheinlich, dass die Kinder die Erinnerungen vielleicht schon in ein Fotoalbum eingeklebt hatten.
Und eines Sonntags kamen sie dann alle. Von einem Fotoalbum allerdings keine Spur. Dagegen stürzte die Tochter gleich auf die Eltern zu. Sie zog ihr Handy hervor, wischte, tippte und sagte stolz: „Guckt mal, der Strand“. Weiter kamen Bilder vom Strand, immer wieder Strand, Die Alten wussten nichts richtig damit anzufangen. „Die Bilder sind aber klein“, kniff Oma die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Wieder wischte die Tochter, zog mit den Fingern die Bilder auseinander. Die Fotos wurden größer, aber die Ratlosigkeit blieb.
„Ihr wolltet uns doch Fotos zeigen“, sagte Oma verunsichert.
Die Tochter schüttelte den Kopf: „Aber Mami, das sind doch Fotos.“ Betretenes Schweigen.
Endlich erklärte dann der Sohn ruhig: „Wir haben Handyfotos gemacht. Das macht man heute so.“
Davon hatten die Großeltern natürlich schon gehört. Sie lebten ja nicht auf dem Mond. Aber die Urlaubsfotos hatten sie sich anders vorgestellt: Von Negativen entwickelt, aus Papier, die man richtig anfassen konnte, nahe zu den Augen führen konnte und auf denen man immer etwas Neues entdeckte. Kein Digital-Chaos. 

Der Enkel wollte den Großeltern nun eine echte Sensation bieten. „Schaut mal,“ hielt er sein Handy hin „Fotos von einem Verkehrsunfall. Wir sind ganz nah vorbeigekommen. Papa musste langsam fahren und ich hab laufend geknipst.“ <

Oma guckte schnell weg. Das wollte sie nun wirklich nicht sehen. Opa war schon eher interessiert.

Um es kurz zu machen. Der Nachmittag mit den Urlaubsfotos wurde zunächst eine große Enttäuschung. Doch dann zog der Sohn einen Umschlag aus seiner Jackentasche und nun kamen normale Fotos, natura, aus Papier zum Vorschein. Und ohne Passwort, ohne wischen, ohne klicken, ohne tippen konnten die Großeltern richtig schöne Urlaubsfotos der Familie bestaunen. Sie waren sicher, diese Fotos würden hundert Jahre halten. Und schon war die Welt wieder in Ordnung.


Freitag, 5. Oktober 2018

In unserem Alter

von Sophie Lange

Das Alter bringt viele Beschwerden. Meint man als Betroffene. Junge Leute sehen das aber anders. Da hat ein Psychologe zusammengestellt, was zum Beispiel ein älteres Gehirn für Vorteile bringt.
So zählt er auf: ein größeres Wissen und mehr Einsicht, ein umfangreicher Wortschatz und mehr Lebenserfahrung, einen immensen Erfahrungsschatz. Aber auch folgendes soll das Alter leichter machen: Ältere Menschen können besser mit Problemen umgehen, haben weniger Schwierigkeiten mit Stress, sind seltener niedergeschlagen, nicht so impulsiv und leiden seltener unter ernsten Depressionen.

Meiner Meinung nach hat man in unserem Alter sehr oft „et ärme Dier“, und Depressionen werden durch Einsamkeit ausgelöst und verstärkt.

Und dann heißt es, dass alte Menschen toleranter und weiser sind. Weiser? Das muss bei mir irgendwie vorbei gegangen sein, oder doch nicht? Denn es wird erklärt, was Altersweisheit bedeutet: „Unter Weisheit verstehe ich hier Einsicht in Lebensfragen und die Fähigkeit in unsicheren Situationen ausgewogene Entscheidungen zu treffen.“

Jetzt möchte ich hier aufzählen, was in unserm Alter alles beschwerlicher wird, zum Beispiel:
Alle Arbeit fällt schwer und dauert länger, man ermüdet schnell, wird vergesslicher, irgendwo hat man immer Schmerzen. Man sieht schlecht, man hört und versteht nur die Hälfte. Die „morschen Knochen“ verschleißen immer mehr und machen durch Schmerzen auf sich aufmerksam. Der ganze moderne Schreibkram mit Bank und Ämtern ist schwer zu begreifen, die moderne Technik ist ein Graus. Und dann die hundert Bestimmungen mit der Kranken- und Pflegekasse. Wer blickt da noch durch! Das regt alles auf. Nee, sagt unser Psychologe: Ältere Menschen verlieren in der Regel nicht so schnell die Fassung.
Na dann! Die Contenance muss jederzeit bewahrt bleiben. Auch in unserem Alter.

Übrigens:
Um 1900 war man mit 50 schon ein alter Mensch. Mit 60 musste man sich die Bezeichnung Greis gefallen lassen und wer die 70 erreichte, fühlte sich wie ein hinfälliger alter Tattergreis und wurde auch so genannt. Heute möchte man auch mit 80 und mehr nicht als Greisin oder Greis abgestempelt werden. Als Donald Trump von dem 35-jährigen nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un als „seniler Greis“ tituliert wurde, wird das dem 72jährigen Präsident der USA wohl kaum gefallen haben.  

Freitag, 28. September 2018

Beste Wünsche zur Gesundheit

Das ist nicht der Titel einer neuen Senioren-Story, sondern ich möchte an dieser Stelle Sophie Lange alles Gute wünschen: Sie ist leider im Krankenhaus. Dadurch ist der Strom an Geschichten erst einmal versiegt. Und mir ist auch keine neue eingefallen.
Vielleicht sieht in der nächsten Woche ja schon wieder alles anders aus.

Freitag, 21. September 2018

Herbst


 Herbstbeginn hier im Bergischen Land:
Sonntag, 23. September 2018, 03:54 MESZ

Vielleicht sieht es am Sonntagmorgen ja so aus:

Septembermorgen

Im Nebel ruhet noch die Welt,
noch träumen Wald und Wiesen;
bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
den blauen Himmel unverstellt,
herbstkräftig die gedämpfte Welt
in warmem Golde fließen.

Eduard Mörike (1804 - 1875), deutscher Erzähler, Lyriker und Dichter



Freitag, 14. September 2018

Als "Backfische" noch ständig kicherten



von Sophie LangeMühsam quält sich eine alte Frau aus dem Bus. Drei Mädchen beobachten sie dabei und kichern hinter vorgehaltener Hand. „Backfische“ nannte man diese halbreifen Gören zur Kaiserzeit, deren Markenzeichen ständiges Keckern war. Aber auch Goethe benutzte das Wort „Backfisch“ und schrieb vom „hübschesten Backfisch im ganzen Dorf“. In Grimms „Deutsches Wörterbuch“ von 1854 ist ein Backfisch ein „junges, unausgewachsenes Mädchen“.

Genau wird die Anfangszeit des Backfischalters festgelegt: 

Mit 14 Jahr' und sieben Wochen
ist der Backfisch ausgekrochen.

Zu Ende sollte diese alberne Zeit mit 17 Jahren sein. Diese Grenze wurde aber oft überschritten. Diesen pubertierenden Mädchen zwischen Kindheit und junge Dame sah man vieles nach: Herumalbern, Dramatisieren jeder Kleinigkeit, exorbitantes Schwärmen für Schauspieler und Sänger und besonders ständiges sinnloses Kichern.  Wenn jedoch 30jährige Frauen noch so albernes Backfischgehabe zeigen, ist das eher peinlich.
Die freien Jahre nach der Schulzeit sollten die Mädchen eigentlich nutzen, sich auf die Ehe vorzubereiten, den Haushalt oder die Haushaltsführung zu erlernen und Kindererziehung zu verstehen. Die höheren Töchter aus feinem Haus interessierten sich aber lieber für Mode, Schmuck und festliche Tanzveranstaltungen. Für die Mädchen war es wichtig, schon mal nach einem passenden, möglichst gutsituierten Ehemann Ausschau zu halten. Dass manche „Backfische“ auch recht aufmüpfig sein konnten, soll nicht verschwiegen werden, wenn auch die Gleichberechtigung von  Frauen noch in weiter Zukunft lag .

Das Wort „Backfisch“ kann etwas mit der Fischerei zu tun haben. Zeigen sich Fische nach dem Fang zu jung und zu klein für den Verkauf, werden diese Frischlinge zurück (engl. back) über Backbord wieder ins Meer geworfen und werden zu „backfish“. Dass dann der deutsche Backfisch als beliebter Schnellimbiss eine ganz andere Bedeutung bekam, war nicht vorauszusehen. Beide Bedeutungen feiert man jährlich in Worms bei einem Backfischfest.      

Andere Sprachforscher sehen den Ursprung von „Backfisch“ in der Studentensprache im Wort Baccalaurus, der Abschluss eines unteren akademischen Grades. Auch das heute gebräuchliche Bachelor stammt aus dieser Wurzel.

Aus den Backfischen wurden später Teenager, die den männlichen „Halbstarkenin nichts nachstanden. In manchem Benehmen haben die zickigen Teenies von heute durchaus Ähnlichkeit mit den kichernden Backfischen von einst, allerdings hat die heutige weibliche Jugend viel mehr Freiheit als ihre Vorfahren.

Übrigens
fanden die Backfische auch Einlass in die Jugendliteratur, so
in den „Nesthäkchen-Bänden“ von Else Ury  (1877 –1943 im KZ Auschwitz)
als „Trotzkopf“ von Emmy von Rhoden und anderen ab 1885
in den „Wildfang-Bänden“ von Angelika Harten (1858 bis 1945)

Andere Autorinnen der Backfischliteratur sind: Magda Trott, Henny Koch und andere




Donnerstag, 6. September 2018

Gassigehen im Mondenschein

von Sophie Lange

Ich wälzte mich von der rechten Seite auf die linke Seite, von der linken Seite auf die rechte. Ich konnte einfach nicht schlafen. Kein Wunder! Es war ja Vollmond! Schließlich stand ich auf und im gleichen Moment sprang meine kleine Töle aus ihrem Körbchen. „Gassi gehen?“, fragte ihr Blick.
„Es ist mitten in der Nacht“, klärte ich auf. Töles Blick: „Na und?“ Und schon holte die Hündin die Leine herbei. Gut erzogen die Kleine. Ich seufzte: „Na gut. Eine Runde um den Block.“ Ich zog meinen alten Trainingsanzug über den Schlafanzug an, schlüpfte in die Gartenstiefel, die im Flur standen, nahm den Haustürschlüssel vom Schlüsselbrett und schon waren wir draußen. Der Mond warf sein fahles Licht auf die Straßen. Kein Mensch weit und breit zu sehen. Ich ließ Töle von der Leine.
„Bleib bei Fuß“, ermahnte ich sie streng. Sie gehorchte, eine Minute lang, dann düste sie ab. Na ja, sie kannte sich ja hier vom täglichen Gassigehen aus.

Ich ging sinnend durch die Nacht, durchschritt den Park, kam in eine Siedlung. Hier war ich mein Lebtag noch nicht gewesen. Ich ging weiter, pfiff nach Töle. Nichts von ihr zu sehen oder zu hören. Schließlich kam ich an einen kleinen Pfad, der zwischen zwei Häuserreihen führte. „Heckenpfad“ nannten wir das. Auf einem Pappkarton stand in Kinderschrift geschrieben: „Hundegässchen!“ Das hatte Töle sicher auch gelesen und so betrat ich das Gässchen, um mein liebes Hündchen bald zu finden. Die Gasse wurde immer enger, die Hecken immer höher, das Mondlicht immer trüber. Von meinem Hund keine Spur.

Schließlich kam ich auf ein Plateau; kein Baum, kein Strauch, alles kahl. Hier war ich ebenfalls noch nie gewesen und doch kannte ich den Platz. Und dann wusste ich durch einen Geistesblitz plötzlich, was das war: Ein UFO-Landeplatz! Genauso hatte er im Fernsehen ausgesehen, irgendwo in irgendeiner Wüste. Würde jetzt mein lang gehegter Wunsch erfüllt werden: Entführung durch Aliens in einem UFO und ich würde weltberühmt werden, universum-berühmt. Ich sah schon die Eilmeldung: Entführung durch UFO. Und tatsächlich, da schwebte ein dreieckiges Flugobjekt heran und ließ sich ganz in meiner Nähe nieder.

Zwei Gestalten stürzten heraus, keine grüne Männchen, sondern attraktive Männer in weißen Anzügen. Hätte ich mich nur ein bisschen „staats gemaat“ (chic gekleidet)!

„Wollen Sie mitfahren?“ fragten sie mich.
„Ja, aber ich will entführt werden“, erklärte ich. Die Männer lachten, packten mich und schleppten mich in das Gefährt. Kaum war eine große Tür geschlossen, schon ging es mit einem Affenzahn in die Höhe. Ich starrte durch ein Panoramafenster nach draußen, warf der Erde tief unter uns ein Abschiedsküsschen zu und grüßte wie Queen Elizabeth den Vollmond im Vorbeifliegen. Schon landete das UFO, und wir stiegen aus. Ein Plateau ganz ähnlich wie der Startplatz. Auf der Plattform kam uns ein hoheitsvoller Außerirdischer mit Glubschaugen entgegen, begleitet von einem Riesenköter, ebenfalls mit Glubschaugen. 

Da lief es mir vor Schreck eiskalt den Rücken runter. „Oh Gott, oh Gott! Töle; ich habe meine Töle auf der Erde zurückgelassen.“  Der Glubschaugenköter knurrte mich an: „Hund vergessen! Das geht doch gar nicht“, verstand ich. Ich weiß zwar nicht, wie es passierte, doch plötzlich gab Köter mir einen Schubs und ich sauste hinab zur Erde. Es ging schneller hinunter als eben hinauf. Ich grüßte wieder den Mond - den mein Absturz ziemlich irritierte - und bald schon näherte ich mich der Erde. Jetzt musste der Aufprall kommen. Und er kam. Aber nicht hart, sondern weich und federnd. Ein frischer, blumiger Kräuterduft kitzelte meine Nase. Mein Lavendelkissen! Ich war direkt in meinem Bett gelandet. Ein Seufzer der Erleichterung entwich meiner Brust. Ein Gähnen antwortete aus dem Hundekorb. Alles war gut. Jetzt konnte ich schlafen, tief und traumlos.



Übrigens:

Meine liebe Töle verschlief den ganzen nächsten Tag. Kein Wunder, nach so einer turbulenten Vollmondnacht. Es ist mir allerdings ein Rätsel, wie sie nach Hause gefunden hat und wer ihr die Tür geöffnet hat.

Freitag, 31. August 2018

Ungebetene Gäste


von Sophie Lange


Lilli hat einige Freundinnen zur Kaffeetafel eingeladen. Bei ihr im Garten sind die Pflaumen reif und so hat sie frische Pflaumentorte gebacken. Sommerlich  hat sie den Tisch auf der Terrasse gedeckt und schon bald kommen die ersten Gäste. Doch als die Gastgeberin die ersten Tortenstücke austeilt, stellen sich auch ungebetene Gäste ein: Wespen schwirren in Massen heran. Geschrei der Frauen: „Weg hier! Verschwindet!“
Wild wird mit den Armen durch die Luft gefuchtelt.  Die Frauen wollen den Tierchen ja nicht zu Leibe rücken, sie wollen sie nur vertreiben. Aber so schnell lassen die Wespen sich nicht verjagen, im Gegenteil, sie werden nur aggressiv durch die Panik der Frauen.
Nun hat jede Frau einen guten Rat zur Hand. „Hast du kein überreifes Obst, das du einige Meter entfernt hinstellen kannst?“ Lilli holt eine Schale mit Trauben, die schon bessere Tage gesehen haben und stellt sie auf den Rasen.
Zur Ablenkung können auch eine Scheibe Kochschinken oder Wurst ausgelegt werden. Tatsächlich fallen die Wespen auf dieses Ablenkungsmanöver herein und verlassen den Kaffeetisch. Trauben statt Pflaumen.
Dafür kommen aber neue angeflogen. „Meine Mutter legt immer Kupfermünzen auf den Tisch, das vertreibt die kleinen Plagegeister“, erzählt eine andere. Jetzt kramen alle ihre Geldbörsen hervor. Zuerst müssen die Münzen jedoch kräftig zwischen den Fingern gerieben werden, bevor sie in die Sonne gelegt werden. Groß ist der Erfolg allerdings nicht. Die Wespen kennen wohl den Wert des Geldes und sind auf Kleingeld aus der Portokasse nicht erpicht.
Es kommen weitere Vorschläge: Honig, ein Klecks Marmelade, Zuckerwasser, Lavendel, Teebaumöl, Knoblauchzehen, Zitrone mit Nelken gespickt, Kaffeepulver oder Kaffeebohnen in einem feuerfesten Gerät anzünden, Räucherstäbchen. 
Bei so viel möglichen Kampfmitteln kriegen die fleißigen Insektenvernichter mit der Angst zu tun und so ergreifen sie rechtzeitig die Flucht. Jetzt ist Ruhe am Kaffeetisch und genüsslich kann die Pflaumentorte verputzt werden.



Übrigens:

Menschen lassen sich nicht gerne stechen,
sind aber leicht bestechlich.

(eigene Erkenntnis)

Freitag, 24. August 2018

Wie die Zeit vergeht


von  Sophie Lange

Kaum hat das neue Jahr angefangen, schon ist die erste Jahreshälfte vorbei. Der Sommer hat erst richtig zugeschlagen, schon fallen die ersten bunten Blätter von den Bäumen. Da haben wir gerade erst Weihnachten gefeiert, schon sind wir wieder auf der Jagd nach Geschenken.
„Eins. Zwei, drei! Im Sauseschritt
läuft die Zeit, wir laufen mit.“

So hat Wilhelm Busch es schon 1877 gedichtet und daran hat sich bis heute nichts geändert. Ach du liebe Zeit! Am deutlichsten merken wir an den Kindern, wie die Zeit vergeht. Gefühlsmäßig gestern haben wir sie noch beim Spazierengehen am Händchen gehalten und heute sind sie uns schon über den Kopf gewachsen. Die Zeit enteilt wie im Fluge und das Schlimmste: Im Alter vergeht sie immer rasanter.

So wundern sich über 90 Jährige: Wo sind die letzten Jahrzehnte nur geblieben? Die Stunden, die Tage, die Monate, die Jahre, das ganze Leben? Alles ist nur noch ein Schatten.

Psychologen haben eine Erklärung gefunden: Je weniger Neues wir erleben, desto kürzer erscheint uns später die Zeit. Ist in einem Jahr also nichts Großartiges geschehen, so hat das Gedächtnis auch nichts gespeichert. Das Jahr hat quasi gar nicht stattgefunden.

Alles war irgendwie Routine, Tag für Tag der gleiche Alltagstrott, immer rund im Hamsterrad. Nichts Besonderes, was uns beeindruckt hat. Der Rat der Experten: Stets etwas Neues, Aufregendes beginnen, sich moderne Interessengebiete erschließen, neue Fähigkeiten erlernen, faszinierende Menschen kennenlernen, unbekannte Orte aufsuchen.

Sicher gibt es auch andere Gründe, wenn die Zeit davonfliegt. Wer sehr aktiv ist, aber doch nicht alles schafft, was er sich vorgenommen hat, jammert ebenfalls: Wie die Zeit vergeht.

Als Kind in Glück und Leid
schlich langsam mir die Zeit.
Als Jüngling stolz und kühn
spazierte sie dahin.
Als reifer Mann zuweilen
sah ich sie furchtbar eilen.

(Inschrift auf einer Glocke)

Donnerstag, 16. August 2018

Ein Kräuterstrauß


von Sophie Lange

Seit dem 15. August hängt im Flur ein großer Kräuterstrauß von der Decke, der still vor sich hin trocknet. Dieser Tag ist der katholische Festtag Mariä Himmelfahrt und er ist seit altersher mit dem Brauch verbunden, Kräuter in Feld und Flur zu sammeln, zu einem Strauß zu binden und im Haus aufzubewahren. Dort hält er nach überliefertem Volksglauben alles Unheil fern.

Der Strauß wurde bei unseren  Vorfahren in  der Kirche gesegnet, was heute nur noch selten geschieht. Nicht nur im Haus, sondern auch für Stall und Scheune wurde ein kleines Sträußchen abgetrennt. Der Bauer steckte sogar im Acker ein Ästchen, damit die Frucht reichlich gedieh. Schließlich sollte alles geschützt werden. Bei Gewitter und Unwetter verbrannte man einige der trockenen Pflanzen im Küchenherd und konnte so sicher sein, dass das Gewitter vorüberzog.

 Mit diesem Brauch waren früher viele Auflagen verbunden. So sollten die Kräuter vor Morgengrauen gepflückt werden und eine bestimmte Anzahl enthalten. Vor zirka hundert Jahren war die Zahl auf 77 oder 99 festgesetzt. Heute ist das nicht mehr durchführbar, denn so viele Kräuter wachsen längst nicht mehr in der freien Natur.

Bei einer Erkrankung kochte man von einigen Kräutern einen Tee, dazu musste man sich allerdings in der Kräuterkunde auskennen. Hier einige Hinweise:


Baldrian, - beruhigt bei Prüfungsangst und hilft beim Einschlafen,

Salbei lindert Halsschmerzen, Heiserkeit, aber auch Bauchkrämpfe

Beifuß kann man bei Magen und Darmbeschwerden einsetzen

Kamille und Pfefferminz sind altbewährte Mittel bei Unstimmigkeiten im Magenbereich

Wir fanden sogar eine stolze Königskerze, ein Heilmittel gegen Bronchitis.

Aber auch Küchenkräuter sind Heilkräuter und gehören in den Kräuterstrauß zu Mariä Himmelfahrt. 
So zum Beispiel Petersilie, ein Kraut das seinen Namen von Petrus (Stein/Fels ) und Sellerie hat. Es ist nicht nur ein Zierstrauß auf der Fleischplatte, sondern hilft als Heilmittel bei Blasen- und Nierenbeschwerden. Nach Kneipp ist dieses Küchenkraut sehr bewährt bei Wassersucht und wird bei Wasser in den Beinen empfohlen. Ein einfaches Hausmittel, das in manchem Garten wuchert und sogar im Blumentopf gedeiht.

Die Kinder singen zu Petersilie ein Verslein:
Petersilien Suppenkraut
wächst in unserem Garten,
unser Käthchen ist die Braut,
soll nicht länger warten.
Roter Wein, weißer Wein,morgen soll die Hochzeit sein.


Donnerstag, 9. August 2018

Heiße Luft

von Sophie Lange

Über den ersten heißen Tag freuten wir uns und hofften auf einen schönen Sommer. Doch die Tage wurden heißer und heißer und die Hitzeperiode zog sich hin. Bäume trockneten aus, Kreislauf geschwächte Menschen kippten um, Krankenwagen jagten durch die Stadt.
Und wie eine Gebetsmühle klang es von besorgten Menschen: Viel trinken, viel trinken, nicht in der prallen Sonne aufhalten, im Schatten bleiben. Da macht der Sommer doch keinen Spaß.

Dann sah ich im Fernsehen eine Moderatorin, die sich einen kleinen Handventilator vors Gesicht hielt. Der Wind pustete fröhlich ihre Locken durcheinander. Das war die Lösung. So etwas war genau das Richtige für mich. Am nächsten Morgen machte ich mich auf ins Städtchen, um so einen „Wirbelwind“ zu kaufen. Doch meine Enttäuschung war groß. Überall bekam ich zur Antwort: „Die kleinen Ventilatoren sind ausverkauft.“

Ich bat meine Schwester in der Stadt um Hilfe.
„Das ist hier in der Stadt sicher kein Problem“, meinte sie zuversichtlich. Doch abends musste sie zugeben: „Es ist, als ob ein großes Schild über der Stadt hängt: „Ausverkauft!“.
So quälte ich mich weiter mit der heißen Luft herum. Doch dann fiel mir etwas ein. Vor einigen Jahren hatte ich von einem Spanien-Urlaub einen Fächer mitgebracht, lila, groß, prachtvoll bemalt. Schon bald hatte ich ihn gefunden.

Jetzt sitze ich in einem schattigen Eckchen auf dem Balkon und fächere mir frische Luft zu. Es ist noch immer heiße Luft, aber es hat sich doch etwas abgekühlt.




Freitag, 3. August 2018

Rentner haben nie Zeit


von Sophie Lange

Gedränge an der Kasse eines Supermarktes. Meist ältere Menschen. Rentner. Und das am frühen Morgen. Plötzlich eine energische Stimme aus der Reihe der Wartenden: „Können Sie nicht mal die zweite Kasse aufmachen!“ Die Kassiererin reagiert unwillig und piepst: „Rentner haben nie Zeit!“ Dann grummelt sie etwas in ihr Telefon und dann: „Sie können schon mal an Kasse zwei auflegen.“ Mürrisch! Unfreundlich!
Flink wechseln die meisten von Kasse Eins zur Kasse Zwei und legen ihre Waren auf. Jetzt ist dort eine lange Schlange. Es kommt nur niemand von den Angestellten. Also eilen einige wieder zurück zur Kasse Eins. Geschiebe und Gedränge! Schließlich kommt die zweite Kassiererin. Freundlich und frohgelaunt. Wäre man nur besser an Kasse Zwei geblieben. Da geht es bestimmt jetzt mit Schwung los. Wieder zurück! Zeit ist Geld!
Die meisten frühen Einkäufer haben nur wenige Sachen im Einkaufswagen liegen. Tageseinkäufe oder nur ein Schnelleinkauf für das Frühstück. Nur eine Frau hat den Wagen pickpacke voll geladen. Wocheneinkauf für die Familie. Sie will gerade anfangen, ihre Einkäufe aufs Band zu legen, als von hinten jemand ihren Wagen zurück zieht und sich dann an die Frau vorbei drängelt. „Ich hab' nur ein bisschen!“ Er ist nicht der einzige, der nur „ein bisschen“ hat. Alle schieben sich jetzt vor.

Rentner haben nie Zeit. Eines der ungelösten Rätsel der Menschheit. Eigentlich müssten Ruheständler doch alle Zeit der Welt haben. Aber sie sind stets in Eile und bittet man sie um einen Gefallen, winken sie ab. Keine Zeit!  Ist das nun ein Vorwand oder ein Vorurteil oder ist da etwas Wahres dran?  Für alle trifft das bestimmt nicht zu. Doch nur zu oft kann man ungeduldige ältere Menschen beobachten, nicht nur im Supermarkt, sondern auch im Wartezimmer beim Arzt, im Bus, im Café, im Restaurant. Gepaart ist die Eile mit mürrischem Geschimpfe. Im Ruhe – bzw. im Unruhestand jagen besonders Männer stets der Zeit hinterher. Vergeudete Zeit aufholen! Begrenzte Lebenszeit verlängern und sinnvoll nutzen.
Zurück in den Supermarkt. Endlich ist auch die Frau mit den Wocheneinkäufen durchgeschleust. Auf dem Parkplatz staunt sie jedoch nicht schlecht. Da stehen doch tatsächlich die Rentner, die es vorher so eilig hatten und diskutieren lautstark. Um Fußball geht es, soviel kriegt die gute Frau mit. Jetzt haben die Herren der Schöpfung auf einmal doch Zeit.

Übrigens:
In der Eifel werden Menschen, die es besonders eilig haben  mit dem Satz abgebremst: „Musst Du heut' noch in et Heu?“ Nun ist die Eifel längst nicht mehr so bäuerlich geprägt wie vor Jahrzehnten und nur die wenigsten müssen das Heu vor dem nächsten Regenguss ins Trockene bringen. Aber der Satz hat sich im Volksmund fest etabliert: „Musst du heut' noch in et Heu?“ Eigentlich nicht …

                                                                       

Freitag, 27. Juli 2018

Der Duft der Äpfel

von Sophie Lange

Wenn ich im Supermarkt Äpfel kaufe, staune ich stets, wie glänzend rot diese sind. Wie poliert, wie frisch gebohnert. Diese Rotbäckchen haben nicht das kleinste Fleckchen. Sie sind makellos! Und doch fehlt dem Prachtexemplar etwas.

Ich denke zurück an meine Kindheit. Im Spätsommer und im Herbst mussten wir Kinder schon in aller Herrgottsfrühe in der Hauswiese die über Nacht von den Bäumen gefallenen Äpfel auflesen. Es war kalt am frühen Morgen, doch es war auch traumhaft schön durch den Morgentau zu stiefeln, das Fallobst aus dem nassen Gras zu klauben und in einen Korb zu füllen. Die Äpfel waren klein, blass und mit dunklen Punkten bedeckt. Einige waren wurmstichig. Diese ließen wir liegen für die Kühe, die nach dem Melken aus dem Stall in die Wiese getrieben wurden. Die ganz faulen Äpfel vermoderten mit der Zeit.
Die Äpfel waren nass und kalt von der Kühle der Nacht und manchmal klebten zarte Grashalme daran. Das Besondere an den Äpfeln aber war ihr Duft. Sie dufteten nach Natur, nach Nacht, nach Morgen, nach Tau, nach Frische, nach Apfel. Die roten Supermarktäpfel riechen nach gar nichts.
Wenn wir mittags nach Hause kamen, rochen wir gleich, dass die Mutter von den Äpfeln Kompott gekocht hatte. Ein unvergleichlicher Duft! Besonders freute ich mich, wenn es Himmel und Erde gab, ein Gericht mit Kartoffeln aus der Erde und Äpfeln von Bäumen, die in den Himmel ragen. Himmel und Erde in einem Topf vereint! Etwas Größeres kann es doch gar nicht geben. Der Duft des Weltalls und der Erdgeruch verbanden sich zu einem Duft aus einer anderen Welt. So eine Speise musste man andächtig essen. 

Ich nehme einen Apfel, reibe ihn am Ärmel blank, schnuppere daran. Ein bisschen riecht er nach Erinnerung.

Übrigens
Das Gericht „Himmel und Erde“ ist ganz einfach zu kochen.

Himmel und Erde


Zutaten: 1 kg mehlige Kartoffeln,
1 Teel. Salz,
1 kg säuerliche Äpfel,
2 Eßl. Zucker,
125 g Räucherspeck,
2 Zwiebeln,
500 g Hausmacher Blutwurst
Mehl
Die geschälten Kartoffeln in Salzwasser gar kochen, abgießen und sofort zerstampfen. Äpfel schälen, vom Kerngehäuse befreien, in Vierteln schneiden und mit ganz wenig Wasser und dem Zucker musig verkochen. Den klein geschnittenen Speck auslassen, die Zwiebelringe hinzugeben und hellgelb braten. Den Kartoffelbrei mit dem Apfelmus vermischen und mit dem Schneebesen sehr sahnig schlagen, evtl. mit etwas Butter, Milch oder Sahne abschmecken. Speck-Zwiebel-Gemisch unterheben. Die Blutwurstscheiben in Mehl wenden und in dem Speck-Zwiebel-Bratfett pro Seite 2 Minuten braten und auf den Eintopf geben.

Wer keine Blutwurst mag, kann dazu ein Spiegelei essen – oder Würstchen - oder Frikadellchen - oder – oder....


Freitag, 20. Juli 2018

Offener Brief an Gott, Himmel


von Sophie Lange

Sehr geehrter Herr Gott,

das ist eine Beschwerde über Ihren Angestellten Petrus, den Wettermacher. Das Wetter bei uns ist eine Katastrophe, Ka – ta – strophe. Und dafür ist doch dieser Typ im Himmelstor Eins verantwortlich.

Anfang des Jahres gab es häufig Starkregen. Ich habe zehnmal nasse Füße bekommen, und meine besten Schuhe sind im Eimer. Dann traten nach der kalten Sophie noch Nachtfröste auf und die meisten meiner Balkonpflanzen sind erfroren. Die ich noch gerettet hatte, sind jetzt vertrocknet. Es ist viel zu heiß! Sag dem Petrus doch mal, er soll sich bei Google Earth einloggen, dann kann er sehen, wo das Rheinland liegt. Hier ist doch  keine Wüste. Mannmannmann! Und wenn er mit der modernen Technik nicht zurecht kommt, soll er ein Engelchen um Hilfe bitten. Die jungen Leute kennen sich aus mit so etwas.



Nun unsere ganz konkreten Vorschläge zum Wetter:

Nicht zu nass und nicht zu trocken!

Nicht zu heiß und nicht zu kalt!

Nicht zu stürmisch und nicht zu windstill!

Kein Mistwetter!

Kein Sauwetter!

Kein Sch....wetter!

Bitte ganz normales Wetter, wie es früher einmal war.



Und wenn Petrus das nicht mehr auf die Reihe kriegt, schmeiß ihn raus. Aber bitte nicht auf die Erde. Wir haben hier schon genug alte Leute und das ganze Renten- und Pflegesystem bricht eines Tages zusammen.



Nun viele Grüße von der Erde

und maach et joot, levver Jott!



Eine Million Menschen haben diese Petition unterschrieben.

Mittwoch, 18. Juli 2018

Hochdahl - alt und neu


von Anne Pöttgen
Dieser Beitrag sollte vor genau einer Woche erscheinen, aber es kam leider ein Krankenhausaufenthalt dazwischen. Ab Freitag geht es dann im alten Rhythmus weiter.

Ich wohne seit genau fünf Jahren in Hochdahl, einem Teil des Städtchens Erkrath, östlich von Düsseldorf. Hört sich unspektakulär an, aber es gibt viel zu erzählen.

Die Stadt Erkrath und die Nachbarstadt Mettmann streiten sich darum, auf wessen

Gebiet der Neandertaler gefunden wurde. Das Neandertal, durchflossen von der Düssel, beginnt definitiv am Rand von Erkrath, Mettmann liegt um einiges entfernt oberhalb vom Tal. Da aber Mettmann Kreisstadt ist, haben wohl beide Recht. Für mich ist interessant, dass ich zwei Kilometer Luftlinie entfernt vom Fundort des Neanderthalers wohne. Soweit zu ganz „alt“. 

„Neu“ ist ganz Hochdahl. Vor nicht allzu langer Zeit gab es auf dem Stadtgebiet nur einzelne Höfe, an die jetzt noch durch Straßennamen erinnert wird. Einer davon¸ der Hof Hochdahl, gab dem ganzen Ort den Namen. In den sechziger Jahren platzte das nahe Düsseldorf aus allen Nähten, machte sich Hoffnung auf die Eingemeindung des Gebietes, das tatsächlich irgendwo an Düsseldorf grenzte. Das ist heute nicht mehr so: Zwischen Düsseldorf und Erkrath wurden Stadtteile getauscht und für Düsseldorf war der Traum von der Eingemeindung ausgeträumt.

In Hochdahl wuchsen Hochhäuser über Hochhäuser für die Wohnungsuchenden heran. Das führte dazu, dass Hochdahl inzwischen mehr als 27.000 Einwohner hat, die Mutterstadt Erkrath bringt es auf 46.000 einschließlich Hochdahl. Da reichlich Grund und Boden zur Verfügung stand, haben die klugen Stadtväter dafür gesorgt, dass Baumgruppen und sogar kleine Wäldchen erhalten blieben. Auf einer alten Topographischen Karte sind die Wälder, Felder und Höfe noch gut zu erkennen.

Hochdahl ist ein grüner Ort, was von oben gut zu erkennen ist. 

Hochdahl hat nämlich auch ein Oben, das ist die südliche Höhe des Neandertals. Da ganz oben gab es einen der ersten Bahnhöfe Deutschlands. Mit dem Bau der Strecke wurde 1838 begonnen. Fabrikanten des nahen Wuppertal brauchten einen Weg, um ihre Waren an den Rhein zu bringen, von wo aus sie in alle Welt gingen.

Die Bahnstrecke Wuppertal – Düsseldorf war bis vor kurzem die steilste Strecke Europas. Von der Rheinebene mit 38 Meter über Normal, bis zum Bahnhof Hochdahl mit 75 Metern musste der Zug mit einer Seilzuganlage gezogen werden. Es war eine Steigung von 33 Prozent zu überwinden. Ein kleines Museum im alten Lokschuppen erinnert heute daran. 

Der Bau der Strecke war Anlass zum Bau einer Eisenhütte. Wie das? Es wurde

Eisenerz gefunden, abgebaut und von 1847 bis 1912 verhüttet. Der Bürgerverein Hochdahl berichtet, dass in den besten Zeiten der Hütte mehr als hundert Menschen beschäftigt waren. Heute erinnern noch einige Straßennamen südlich der Bahnstrecke an die Zeit der Hütte Eintracht: Hüttenstraße, Stahlstraße, oder Bessemerstraße. Soweit zu „neu“. 

Zu „alt“ ist aber noch etwas Wichtiges zu bemerken. Ich wohne an einer Straße, der Sedentaler Straße, die im Mittelalter Teil einer Handelsstraße war, der strata coloniensis. Sie führte auf verschiedenen Trassen, meine hier ist die Trasse Nummer drei, von Köln nach Essen. Genauer gesagt nach Werden, zur Reichsabtei Werden. Nördlich davon endete sie auf dem viel älteren Westfälischen Hellweg. An vielen Stellen im Raum Düsseldorf und Erkrath sind die Trassen heute noch zu erkennen. 

Aus der „Straße“ ist allerdings ein Feldweg geworden. Meine Nummer drei führte durch die Gegend, die heute Hochdahl heißt, über die Höhe, nahe am heutigen Bahnhof vorbei, hinunter ins Neandertal und wieder hinauf nach Mettmann¸ weiter über die Höhen des Niederbergischen Landes nach Werden.


Freitag, 29. Juni 2018

Immer langsam voran


von Sophie Lange

Ich gebe es ehrlich zu. Ich war nie eine gute Autofahrerin und bin auch nie gerne gefahren. Nur wenn es unbedingt sein musste, setzte ich mich hinters Steuer. Und dann fuhr ich langsam und unsicher.

So auch an jenem Morgen, als ich von einem Arztbesuch auf dem Weg nach Hause war. Ich fuhr langsam, wie immer. Plötzlich sah ich am Wiesenrand ein großes Schild: Erdbeeren! Frisch vom Feld! Ich stieg voll in die Eisen. In diesem Moment krachte es. Automatisch ging ich auf die Bremse, schaute in den Innenspiegel. Hautnah stand ein Auto hinter mir. Erschrockene Augen eines jungen Mannes starrten nach vorne.

Wir stiegen beide aus. Ich war ein bisschen wackelig auf den Beinen. Der Schock! Aber ansonsten schien alles in Ordnung zu sein. Das Auto hatte nur eine zerbeulte Stoßstange. In diesem Moment hielt ein Polizeiauto neben uns. Wieso das so schnell auftauchte, ist mir bis heute schleierhaft. Wie vom Himmel gefallen!
„Alles okay?“ fragten sie fürsorglich. Wir nickten beide.
Doch dann schimpfte der junge Mann los: „Die da,“ er stocherte mit dem Zeigefinger auf mich. „Die da ist voll langsam gefahren. Und dann bremst sie auch noch plötzlich.“
Der jüngere Polizist sah sich zu einer Belehrung genötigt: „Wer auffährt, der ist immer schuld. Sie müssen so viel Abstand halten, dass Sie jederzeit bremsen können.“ Aufgeregte Diskussion. Über Geschwindigkeit und Bremsweg, über guter Bulle, böser Bulle, über Frau am Steuer – Ungeheuer! Ich stand wie bedröppelt dabei. Wenn ich die Sachlage richtig einschätzte, fühlte ich mich schuldig, war aber unschuldig. Der Typ war schuldig, fühlte sich aber unschuldig. Ja, so spielt das Leben. Ich wollte mich schon mit meinem Unfallpartner solidarisch erklären, als dieser losdonnerte: „Frauen gehören an den Herd und nicht hinters Steuer!“ Macho! Blötschkopp! Jetzt hatte er bei mir verspielt. Ich warf ihm einen Blick zu, der töten konnte.

Irgendwie wurden wir uns schließlich einig, kamen mit einer Ermahnung davon  und fuhren los. Der Macho mit einem Kavaliersstart. Ich ganz vorsichtig. „Erdbeeren!“ fiel mir ein. Die konnte ich jetzt wohl vergessen.
Ich wurde von meinen Kollegen wegen meines Schneckentempos immer als „Straßenfeger“ gehänselt, wobei das Wort eine ganz neue Bedeutung erhielt. Doch einmal habe ich tatsächlich ein Protokoll bekommen wegen zu schnellen Fahrens. Ich kam von der Arbeit, fuhr täglich die gleiche Strecke. Die Landstraße führte durch ein kleines Straßendorf. Vor dem ersten Haus ein Schild: 70. Schneller fuhr ich sowieso nicht, aber trotzdem ging ich noch mit dem Tempo runter. Am Ende des Dorfes – nach 100 Meter - ein Polizeiauto, ein Beamter hielt seine Kelle hoch, winkte mich rechts ran. „Sie sind zu schnell gefahren“ erklärte er barsch.
„Nee, nee,“ verteidigte ich mich. „Ich bin nicht über 70 gefahren.“ Der Polizist grinste hinterhältig. „70 war gestern. Seit heute Morgen sind die Schilder weg. Jetzt gilt das Ortsschild und das heißt: 50.“ So ein fieser Möpp! Hatte mich doch glatt auflaufen lassen. Hätte ich mich nicht verteidigt, hätte er mir niemals nachweisen können, wie schnell ich gefahren war. Ein Strafgeld war fällig.

Am nächsten Tag im Büro zeigte ich stolz wie Oskar den Strafzettel. „Zu schnell gefahren,“ erklärte ich den Kollegen. Das hat mir natürlich zuerst niemand geglaubt. Aber als ich sie überzeugt hatte, haben sie mich total bewundert.



Übrigens:

Bei der nächsten Feier werde ich einen ausgeben. So aus besonderem Anlass!