Sonntag, 26. November 2017

Die Jugend von heute

"I bims" - das ist das Jugendwort des Jahres 2017, sagt der Langenscheidt-Verlag. Was bedeutet es? "Ich bin's". Wirft das einen Blick auf das Selbstverständnis der Jugend? Was ist sie? Sophie Lange zeigt auf, was man in tausenden von Jahren über die Jugend gesagt hat.


Herr M. klagt fast jeden Tag über die „Jugend von heute“ und zählt gleich mehrere Untugenden auf: Respektlosigkeit, Faulheit, Rücksichtslosigkeit usw. usw. „Die jungen Leute können nichts anderes, als den ganzen Tag auf ihren Handies spielen oder über ihre Smartphones wischen“, äußert er seinen Unmut.

Dabei sind die Klagen über die Jugend uralt. Auf einer Inschrift aus dem alten Ägypten, circa 2000 vor unserer Zeitrechnung, steht geschrieben: „Die heutige Jugend zeigt kaum noch Respekt vor den Eltern. Über die Erfahrungen und Weisheiten der Älteren spottet sie.“

Und auf einer babylonischen Tontafel aus der gleichen Zeit heißt es: „Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben. Sie ist böse, gottlos und faul.“

Der griechische Philosoph Sokrates (470-399 v. Chr.) konnte feststellen, dass die Jugend nicht nur die Älteren gering achtet, sondern auch die Lehrer tyrannisiert – worüber auch heutige Lehrer klagen. 

Der weise Aristoteles (384-322) fasst zusammen: „Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“

Das könnte man jetzt laufend fortsetzen, durch alle Jahrhunderte hindurch. Zu allen Zeiten hatten Erwachsene die Jugend auf dem Kicker.

580 n. Chr. schreibt der Bischof Gregor von Tours, dass man die Flammen der jugendlichen Leidenschaft nur mit Hilfe der klösterlichen Aufsicht und einer strengen Disziplin besiegen könne. Für diese Theorie begeistern sich kaum Jugendliche, egal zu welchen Zeiten.

Die Dichter haben sich natürlich auch zur Jugend geäußert.

Goethe (1749-1832) beklagt: „Dass doch die Jugend immer zwischen den Extremen schwankt!“

Kurz und knapp bringt es der irische Schriftsteller Oskar Wilde (1854-1900) auf den Punkt: “Die heutige Jugend ist grässlich.“

Der Erzähler Paul Keller (1873 – 1932) fasst zusammen: „Die Jugend ist stark, trotzig, rachsüchtig.“
In einem Regierungsbericht von 1852 wird festgestellt, dass bei der Schuljugend die Anständigkeit und das sittliche Benehmen mehr und mehr schwindet. Wen wundert es da, dass von Anstand und gutem Benehmen inzwischen bei den jungen Leuten nichts übrig geblieben ist.

Der Reformator und Humanist Philipp Melanchthon (1497 -1560) urteilt über seine Schüler: „Sie haben keine Lust zu lernen, kein Ehrgefühl, keinen Gehorsam.“

Verständnis für die Jugend "von heute" zeigen nur wenige Zitate.

Den Ball zurück wirft Hansa Mohsen, geboren 1983: „An der Jugend von heute ist die Jugend von gestern schuld.“ Der Wurf trifft; trifft voll ins schlechte Gewissen all derer, die über die eigene Jugend das Mäntelchen „vergessen und vergeben“ ausgebreitet haben.

Der Journalist und Schriftsteller Gregor Dorfmeister, geboren 1929, bricht ebenfalls eine Lanze für die jungen Leute: „Die Jugend ist nicht gut, nicht schlecht. Sie ist wie die Zeit, in der sie lebt.“  Das mag Herrn M. trösten.

Über „die Zeit von heute“ ließe sich nun manches sagen – und nicht nur Positives..

Freitag, 17. November 2017

Im Waschsalon


Gerda schleppte einen Korb mit nicht mehr ganz sauberer Wäsche – das Wort schmutzig kam nicht mal in ihren Gedanken vor – in die Waschküche des Hauses am Kirchberg. Ach, verdammt, dachte sie, als sie die Tür öffnete, schon jemand drin und also vor mir dran. Mürrisch sagte sie „Guten Tag“ und mürrisch schob sie ihren Korb unter den Tisch,  an dem der Jemand saß. Er hatte sehr freundlich zurückgegrüßt und wies nun einladend auf den zweiten vorhandenen Stuhl.
„Wir kennen uns doch, wenigstens vom Grüßen her im Speisesaal“, eröffnete er die Konversation.
„Ja, stimmt“, antwortete Gerda und ihre Miene hellte sich auf. Den fand sie eigentlich ganz nett, hatte ihn gar nicht erkannt in seinem Freizeitlook. Auch ihre Freundinnen hatten sich schon positiv über ihn geäußert. Immer höflich, immer freundlich, immer einen munteren Scherz parat, so hieß es. Außerdem solo, ob ledig oder verwitwet – das war noch unbekannt. Auch nicht so wichtig.
Gerda hatte es sich am Tisch bequem gemacht, sprang aber gleich wieder auf, als sie feststellte, dass der Jemand nicht die Waschmaschine belegt hatte, sondern schon beim Trocknen war. Mit wenigen Handgriffen war das Waschen vorbereitet, die Wäsche eingefüllt und der entscheidende Knopf gedrückt. Zeit für einen Plausch. Und dabei die Gelegenheit festzustellen, ob er wirklich solo war. Ob nicht im Hintergrund eine Lebensgefährtin lauerte, oder eine Freundin oder was auch immer an weiblichen Figuren möglich war.
„Kommen Sie denn mit dem Waschen zurecht?“, fragte Gerda also.
„Ja, natürlich, ich wohne schon eine ganze Weile hier im Haus.“
„Niemand, der Ihnen diese lästige Arbeit abnimmt?“
„Das hab ich nicht nötig, ich kann das alles selbst, das hat mir schon meine verstorbene Frau zeitig genug beigebracht.“ Also Witwer.
„Ja, selbst ist der Mann“, scherzte Gerda.
„Sie würden sich wundern, was ich alles selbst kann.“ Der Jemand warf sich in die Brust und Gerda wartete darauf, mit was er nun angeben würde. Vergeblich. Sie wurde auch abgelenkt, irgendetwas stimmte nicht mit ihrer Waschmaschine. Geräusche, die sie sonst nicht von sich gab.
„Kann ich Ihnen helfen?“, der Jemand war aufgesprungen, ebenfalls alarmiert von den Geräuschen. Er stürzte zu ihrer Waschmaschine und begann wild mit den Knöpfen zu hantieren. Die Töne nahmen dramatische Höhen an und mit einem gewaltigen „Klack“ war die Sache beendet. Still ruhte Gerdas Wäsche in der Lauge. Der Trockner daneben drehte weiter seine Runden. Gerda erwartete, einen zerknirschten Jemand vor sich zu sehen. Aber nein, siegesgewiss stand der Jemand neben ihrer Waschmaschine. „Das haben wir gleich.“ Wir.
„Ich habe keine Ahnung, wie ich das hinkriegen soll, da muss ich den Technischen Dienst rufen. Oder ich gehe gleich rüber in die Werkstatt.“ Gerda verzichtete darauf, „wir“ zu sagen. Es war ihre Wäsche, auch wenn der Jemand den Zusammenbruch verursacht hatte.
„Aber gnädige Frau, das ist nicht nötig, das kriegen wir allein hin.“ Leider kam ihm keine Entschuldigung über die Lippen. Schließlich … Das sprach gegen ihn. Nach kurzem Nachdenken ließ Gerda ihn aber gewähren. Nur keine Missstimmung aufkommen lassen, schließlich waren sie Nachbarn. Irgendwie.
Der Jemand stand wieder an Gerdas Waschmaschine, Gerda neben ihm, um ihm ein „wir“ zu vermitteln. Sie blickte versonnen auf ihre neuen Schuhe, die sie seit heute trug. Lautlos bediente der Jemand die Knöpfe, die vorher so gekreischt hatten. Fast lautlos öffnete sich die Vordertür der Waschmaschine. Aber die Wäsche gurgelte, als sie sich den Weg aus der engen Maschine in die Waschküche bahnte. Und die neuen Schuhe saugten die Lauge begeistert auf, Wildleder.

Sonntag, 12. November 2017

Vom Lebensmotto


Angesichts der tagelangen Sondierungsspräche fragt man sich: Wird das klappen?
Sophie Lange hat dazu ein Motto für uns: Et het noch immer joot jegange


„Ich habe gelesen, dass Merkel ihr politisches Motto ‚Wir schaffen das‘ auch privat einsetzt“, weiß Onkel Bert in der Familienrunde zu berichten.
„Wie soll ich mir das denn vorstellen?“, überlegt Tante Luzie. Sie lässt ihre Fantasie spielen: Da sieht es in Merkel-Sauers Küche aus wie bei Hempels unterm Sofa. Schmutziges Geschirr von drei Tagen stapelt sich in der Spüle. Ehemann Sauer ist sauer, aber Angela krempelt die Ärmel hoch, spuckt in die Hände und ran ans Werk: Wir schaffen das.
Ja, so ist sie, unsere Angela.  

Dass eine ganze Stadt und ein ganzer Landstrich das gleiche Lebensmotto haben, das gibt es nur bei uns. Hier lautet die Anmerkung zu nichts und allem: „Et hät noch emmer jot jegange“. Als 2009 das Kölner Stadtarchiv einstürzte, tausende wertvolle Annalen vernichtet oder beschädigt wurden, zwei Menschen zu Tode kamen, blieben die Kölner ihrem Motto treu: Et hät noch immer jot jegange. Und wenn man als Fremder irritiert fragte: „Wiesu datt dann?“, kam prompt die Antwort.
„Der Dom steht doch noch.“
Und Jonas kommentierte mit seinem Lebensmotto: „Schlimmer geht immer“. In allem etwas Gutes sehen, das hat schon  die Gruppe Abba in ihrem Song „I believe in angels“ gesungen: „Something good in everything I see.“
Ja, so sind sie, die Optimisten vom Rhein  und anderswo.

In der Eifel setzt man noch einen drauf. Als vor langer Zeit bei einem Großbrand das halbe Dorf abbrannte, soll ein Eifeler Schlitzohr gesagt haben: „Et hät  noch emmer jot jejange – Pastuur si Hus (Haus) es met verbrannt.“ Schadenfreude ist bekanntlich die größte Freude. Wenn es die kleinen Leute trifft, sollen auch die hohen geistlichen Herren nicht verschont bleiben.
Ja, so ist es, das fromme Völkchen der Eifel.

Nun schlug man in der Runde vor, dass jeder sein persönliches Lebensmotto kundtat. Die Jugend war sich einig: No risk, no fun. Die ältere Generation hat die Nase voll von Risiko und von Spaß ebenfalls. Sie hat die Erfahrung gemacht. „Das Leben ist kostbar, gehe vorsichtig damit um.“ Anschließend wurde Einstein zitiert: „Die besten Dinge im Leben sind nicht die, die du für Geld bekommst.“ Johannes,  Patriarch der Familie, hält Geld jedoch für das wichtigste Lebenselixier. So hat er seinem Nachwuchs das Motto eingeimpft: „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.“
Sein Filius hält es jedoch eher mit der Ironie: „Spare in der Not, dann hast du Zeit dazu.“ Oma Lieschen hat ihren Wahlspruch eingerahmt im Flur hängen: „Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“ Wie oft hat sie in ihrem langen Leben sinnend vor diesen tröstenden Worten gestanden!
Ja, so sind sie, die ewig Hoffenden.

Der sangesfreudige Onkel Eduard hat einen alten Schlagertext auf seine Lebensfahne geschrieben: „Sei zufrieden mit dem Heute, wenn es dich auch wenig freut.“ Und schon schmettert er die rührselige Schnulze vom Anfang bis zum bitteren Ende: „Jeder hat doch seine Sorgen, wer nicht Sorgen hat, ist tot.“ Die stets heitere Tante Emma überrascht mit dem Motto aus ihrem Poesiealbum aus Mädchentagen: „Lebe lustig, lebe froh, wie der Mops im Haferstroh.“

Ja, so sind sie, die Lebenskünstler unter uns.




Mittwoch, 8. November 2017

Der heilige St. Martin

Der 11. November ist der Namenstag des heiligen St. Martin

Schon ab dem 7. November ziehen in den Gemeinden, die das Andenken an diesen Heiligen hochhalten, die Martinszüge. Ich erinnere mich sehr gern daran, ich stamme aus Düsseldorf. Aus der Eifel berichtet Sophie Lange darüber


Der Martinsumzug zum 11. November gehört wohl zu den schönsten Kindheitserinnerungen. Stolz marschierten wir mit unserer aus einer Rübe geschnittenen Laterne durch die dunklen Straßen. Aber es gab auch Enttäuschungen. So sangen wir jedes Jahr voller Überzeugung: “Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind ...“ Doch nie fiel je eine einzige Schneeflocke zu Ehren des Heiligen. Wenn wir weiter schmetterten „ ... sein Ross das trug ihn fort geschwind“, so stimmte das auch nicht. Denn der schwere Ackergaul, den der Heilige sich bei einem Dorfbauern ausgeliehen hatte, schleppte sich nach einem harten Arbeitstag mühsam Tritt für Tritt über Stock und Stein. Nichts von einem rasenden Pferdegalopp zu bestaunen. Doch nach dem Umzug durchs Dorf entschädigte ein Weckmann mit Tonpfeife und Korinthenaugen für den fehlenden Schnee und das entfallene Pferdeevent. Sankt Martin höchstpersönlich überreichte jedem Kind einen kleinen Mann aus süßem Weck. Dass man dem Weckmann heute die Pfeife streitig machen will, betrübt das Traditionsmännchen. Es raucht doch gar nicht, es tut nur so.
Mit Inbrunst sangen wir besonders das alte Lied: „Der hellige Zinte Mäten, dat es ne gode Mann.“ Das Lied erinnert an die Zeit, als das Martinsbrauchtum - Umzug und Feuer  -  noch nicht organisiert war. Kinder zogen in kleinen Gruppen durch die Straßen mit ihren „Fackele“. Jugendliche kümmerten sich um lokale Martinsfeuer, wobei es häufig zu Streitereien „rivalisierender Gruppen“ kam. Dann gab es oft wilde Schlägereien. Und nur so ist die Refrainzeile Butzwidibutz - „Butz, wider Butz“ zu verstehen, Schlag wider Schlag, wie du mir so ich dir, Aug um Aug, Zahn um Zahn.  Schon manche harmlose Rauferei ist bei dem Feueranzünden oder der Feuerwache in eine handfeste Prügelei ausgeartet. Schließlich nahmen Lehrer sich des Problems an, organisierten die traditionellen Umzüge und die Martinsfeuer und sorgten dafür,  dass Butz wider Butz-Schlägereien  unterblieben.

Beim Rundgang durch die Straßen erbettelten die Kinder an den Häusern Heischegaben. Dabei trugen sie in einer Art Sprechgesang vor:

Hier wohnt ein reicher Mann,
der uns was geben kann.
Viel soll er geben,
lange soll er leben,
lasst uns nicht zu lange stehn
denn wir müssen weiter gehn.

In einem Bericht der Dichterin Clara Viebig zum Martinsabend am Niederrhein von 1894 sind schon diese Zeilen aufgeführt und sie haben sich bis heute erhalten.

Dass Martin wirklich ein guter Mann war, zeigt sich daran, dass er oft wie in dem obigen Lied doppelt-gemoppelt heilig gesprochen wird, denn Sankt oder Zinte heißt ja nichts anders als der Heilige: Der heilige Heilige Martin. Ja, „ene gode Mann“ kann nie heilig genug sein!

In der Erinnerung singen wir leise vor uns hin:

Der hellige Zinte Mäeten,
dat es ne gode Mann,
der gitt de Kenger Käezche
un stich se selver aan.
Butz butz butzwidibutz,
dat es ne gode Mann;
Der hellige Zinte Mäeten
gitt, wat'e gevve kann.

Der hellige Zinte Mäeten,
der kütt och hück zo us,
dröm go'mer met de Fackele,
et freut sich Kleen un Gruß.
But butz butzwidibutz,
der Summer der es us.
Der hellige Zinte Mäeten,
der kritt de letzte Struuß.

Der hellige Zinte Mäeten,
der rick lans jede Dür
un sähnt do Hus on Hätze
de Früut  en Schobb un Schür.
(Frucht in Schober und Scheune)
Butz butz butzwidibutz
hä brengk et Wenkterfür,
der hellige Zinte Mäeten
hält Minsche wärm un Dier.

Der hellige Zinte Mäeten
kütt immer huh zu Päed;
hä steht en huhe Ihre
em Himmel un ob Äed.
Butz butz butzwidibutz
d'n Düvel trifft sii Schwäet;
der hellige Zinte Mäeten,
der es wal lobenswäet.