Donnerstag, 1. November 2018

Auf dem Friedhof


von Sophie Lange

Im November, dem Toten- und Trauermonat, führt so mancher Gang zum Friedhof, um die frisch geschmückten Gräber von lieben Verstorbenen zu besuchen. Und das oft bei eisiger Kälte. Da wird so manche Erinnerung geweckt.

In den Dörfern  war es üblich, dass praktisch das ganze Dorf einem verstorbenen Dorfbewohner „die letzte Ehre gab“. Da waren auch wir Kinder nicht ausgeschlossen. Ich hatte immer Sorge, dass ich auf dem Friedhof zu weinen anfing. Das wollte ich nicht. So biss ich mir auf die Lippen und dachte mir lustige Geschichten aus. Aber irgendwann passierte es dann doch.

Wenn der Verstorbene Mitglied in einem Verein war – und das war praktisch jeder -, spielte die Musikkapelle am offenen Grab die Melodie vom guten Kameraden  Das Soldatenlied gehörte zum Repertoire meines Vaters, und so konnte ich den Text leise mitsingen:

Ich hatt' einen Kameraden,
einen besseren find'st du nit.
Die Trommel schlug zum Streite,
wir gingen Seit an Seite
im gleichen Schritt und Tritt.

Bei der zweiten Strophe hatte ich ein genaues Bild vor Augen. Vielleicht hatte ich es mal in einem Kriegsfilm oder in einem Buch gesehen. Und spätestens jetzt flossen die Tränen.

Eine Kugel kam geflogen,
gilt sie mir oder gilt sie dir.
Ihn hat sie umgerissen,
er liegt zu meinen Füßen,
als wär's ein Stück von mir.

Mit tränenerstickter Stimme sang ich die dritte Strophe und sah vor mir den sterbenden Soldaten mit erhobener Hand. Das war so traurig:


Will mir die Hand noch reichen,
derweil ich eben lad'.
Kann dir die Hand nicht geben,
sei du im ewigen Leben
mein bester Kamerad.

Schluchzend verließ ich mit meinen Eltern den Friedhof. Voll Trauer über den Verstorbenen, den unbekannten Soldaten und das ganze Elend der Welt. Jetzt sah ich, dass auch andere Dorfbewohner weinten. Das tröstete irgendwie.

Der Friedhof, ein Platz, an dem man weinen kann.




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