Samstag, 23. März 2019

Es zieht!

Von Sophie Lange

Die Senioren hatten sich zum Gesprächskreis eingefunden. Als nun die Gruppenleiterin eintrat, riss sie zuerst einmal das Fenster weit auf, um frische Luft einzulassen. Ein gemeinsamer Schrei: Es zieht.

Manche Menschen reagieren sehr empfindlich auf einen Luftzug, auch zu Hause. Dabei sind heute Wohnungen und Häuser, besonders die neuen, gut isoliert. In den alten Häusern war das anders. Da zog es aus allen Ecken und Kanten. Immer wieder scholl der Ruf durchs Haus: Es zieht! Diese Aussage, eigentlich nur eine einfache Feststellung, sollte aber auch sagen: Stellt diesen Luftzug bitte sofort ab. So wurden Decken auf die Fensterbank gelegt und Türritzen mit Lumpen abgedichtet. Manches Loch wurde mit Zeitungspapier ausgestopft und trotzdem zog es noch immer wie Hechtsuppe. Von einem Durchzug, wenn Türen und Fenster geöffnet sind, wollen wir gar nicht reden. Für manchen eine Katastrophe und der Anfang einer Erkältung.

Unsere Vorfahren aus der Antike hatten da ganz andere Sorgen. Bei den ersten Häusern war zwar ein Loch in der Mauer, aber das hatte mit einem Fenster wenig zu tun. Es diente vorwiegend dazu, sich aus der Wohnstatt hinaus verteidigen zu können. Erst nach Jahrhunderten wusste man ein Fenster auch als Lichtspender und Kälteschutz zu schätzen. Um sich vor Durchzüge zu schützen, mussten Tierhäute, Pergament oder Leinenstoff dienen. Dass es trotzdem zog, ist verständlich. Aber vielleicht waren die Menschen früher auch abgehärteter als wir heute.

Im alten Rom gab es dann bald auch Fensterglas. Dadurch wurden Fenster natürlich etwas wetterfester. Aber bis zur Doppel- und Dreifachverglasung war noch ein weiter Weg.

Gern erinnern sich noch Menschen aus der letzten Vergangenheit an die Fensterläden, die von außen geschlossen wurden. Farbig gestrichen gaben sie nicht nur dem Haus, besonders den Fachwerkhäusern, ein buntes Bild, sondern schützten auch vor der Kälte der Nacht. Diese Holzläden hatten jedoch auch Nachteile: Das Fensterln wurde dadurch umständlich.

Was es mit dieser bayrischen Tradition auf sich hatte, das ist eine andere Geschichte.

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