Samstag, 15. Oktober 2016

Das Mord-Karussell


"Mein Haus ist meine Burg“, heißt es nicht so? Zumindest sieht unseres aus einiger Entfernung so aus. Jedenfalls so groß wie. Dachte Ursula Beckstein. Und seine Burg verlässt man nur im Notfall. Etwa wenn urplötzlich kein Kaffee mehr da ist. Oder Kaffeesahne. Warum sagt einem eigentlich niemand, dass nachgekauft werden muss. Vielleicht ist die Idee, die gesamte Küche internetmäßig auszurüsten gar nicht so schlecht. Denk mal drüber nach, liebe Ursula. Ursula besaß einen Laptop und konnte ihn auch bedienen.
Aber jetzt erst einmal raus aus der Burg. Hinaus auf den Markt. Wenn da nur nicht die dunklen Gänge wären, die Unterführung, unter der das Böse lauert. Oder zumindest lauern könnte, dunkel genug ist es ja, zumindest bei grauem Wetter. Drüber donnert der Verkehr der Sedentaler Straße. Ist man heil und gesund durch, dann warten Treppen, die bezwungen werden wollen.
„Hallo Frau Baumberger, auch zum Einkaufen unterwegs?“
„Ja.“
War auch schon mal freundlicher.
Aber: „Haben Sie schon gehört?“, lässt sich Frau Baumberger dann doch zu einem Gespräch herbei.
„Gibt’s was Neues?“
„Herr Mansberg ist tot. Ermordet.“
„Waaas?“
„Ja, ermordet. Sagt jedenfalls Frau Wenig.“
„Kann man‘s denn glauben? War die Polizei da? Und wer war’s?“
„Sie stehen erst am Anfang mit ihren Ermittlungen.“ Diese Floskel kennt Ursula aus zahlreichen Fernseh-Krimis. Daher wird sie wohl auch Frau Baumberger haben, denkt Ursula.
„Sagt Frau Wenig?“
„Ja, die wohnt in der Nachbarwohnung und die Wände sind ziemlich dünn.“ Aha.
„Wann ist es denn passiert?“
„Vor drei Tagen.“ Das kann nicht sein, denkt Ursula, das hätte sie längst gehört. Es blieb so leicht nichts verborgen in der Seniorenresidenz. Erst recht nicht sowas. Da stimmte was nicht. Eine von beiden hatte eine zu lebhafte Fantasie, entweder die Wenig oder die Baumberger.
Nur jetzt keine Zweifel zeigen, dann würde sie nicht weiterreden.
„War es Raubmord?“
„Wohl kaum, was war bei dem denn zu holen?“
„Na, wenn man ihn reden hörte …“
„Ich weiß, Leitender Angestellter -  bei einer Bank. Bankdirektor.“
„Da kommt im Laufe des Lebens doch was zusammen.“
„Nicht, wenn man eine anspruchsvolle Frau hat.“
„Ja, kann sein, sie putzte sich gern heraus, immer etwas overdressed. Auch schon tot.“ Schweigeminute.
„Ich geh zu Edeka und Sie?“
„Ich muss erst noch zur Buchhandlung Weber, guten Einkauf.“

Ursula Beckstein musste natürlich auch zu Edeka, des Kaffees wegen. Und wen sieht sie da am Spirituosenstand: Herrn Mansberg. Wusste sie’s doch, die Todesnachricht war aus der Luft gegriffen. Aber vielleicht war was …
„Guten Tag, Herr Mansberg, geht’s gut, gibt’s was Neues?“
„Ja, weiß Gott! die Polizei war da.“ Ach.
„Was ist denn passiert?“
„Herr Obermeier soll ermordet worden sein.“
„Ermordet?“
„Ja. Tot. Erschlagen oder so.“
„Woher wissen Sie das denn?“
„Frau Wenig hat es mir gesagt, sie wohnt ja nebenan – und die Wände sind dünn.“ Aha.
„Wann ist denn das passiert?“
„Vorgestern. Ich selbst habe ja nichts mitbekommen, obwohl ich auf derselben Etage wohne. Das musste ich auch der Polizei sagen, die bei mir nachfragte, ob ich etwas gehört oder gesehen hätte. Was passiert war, haben sie mir natürlich nicht gesagt.“
„Wer mag denn wohl der Täter sein? Jemand aus dem Haus – oder aus der Verwandtschaft?“
„Es ist wohl noch nichts bekannt, die Polizei ermittelt in alle Richtungen.“
Auch den Spruch kannte Ursula aus den Fernsehkrimis.
Von wem stammte denn nun die Fehlinformation? Frau Wenig oder Frau Baumberger? Herr Mansberg hatte eben verschämt sein Fläschchen Wodka zu allem anderen in den Wagen gepackt und ging Richtung Kasse. Da war nichts mehr zu holen.
Da – Frau Baumberger, immer noch beim Einkauf.
„Hallo Frau Baumberger, wissen Sie, wen ich eben getroffen habe?“
„Nee.“
„Herrn Mansberg.“
„Waaas?“
„Ja, quicklebendig. Wusste aber auch was von Polizei und Mord: Herr Obermaier. Übrigens auch ein Nachbar von Frau Wenig.“
„Sollte ich mich denn so verhört haben? Mansberg – Obermeier – nein, das kann nicht sein.“
„Außerdem soll es nicht vor drei Tagen, sondern vorgestern gewesen sein. Wie steht es eigentlich um die Gesundheit von Frau Wenig?“, fragte Ursula, diskret.
„Sie hat ihre Sinne durchaus beisammen – falls Sie auf so etwas anspielen.“

Die beiden Damen hatten ihre Einkäufe erledigt und machten sich auf den Rückweg zu ihrer Burg. In der Eingangshalle erwartete sie eine weitere Überraschung: Herr Obermeier stand an der Rezeption und verhandelte über irgendetwas. Jetzt war es an Frau Baumberger, Nachforschungen anzustellen, schließlich war ihre Information – Mansberg Auch wenn Ursula Beckstein behauptete, ihn gesehen zu haben …
„Herr Obermeier, lange nicht gesehen, alles in Ordnung?“
„Ja, natürlich, Frau Baumberger und guten Tag Frau Beckstein. Gut eingekauft, die Damen?“ In keiner Weise angeschlagen, der Herr Obermeier. Und nun?
„Es gibt ein Gerücht, dass Ihnen etwas passiert sein soll,“ ergriff Ursula die Initiative.
„Angetan, du lieber Himmel, was heißt das denn?“
„Mord.“
„Kommen Sie erst mal beiseite, so etwas will hier niemand hören.“
„Aber wissen Sie etwas?“
„Ja, zum Thema Mord weiß ich etwas – Herr Mansberg!“
„Tatsächlich? Aber das stimmt nicht, ich habe ihn eben gesehen.“
„Dann hat man ihn anscheinend doch nicht verhaftet.“
„Verhaftet??“
„Verhaftet??“
Die beiden Damen wie aus einem Mund.
„Die Polizei war bei mir, fragte, ob ich etwas gehört hätte, erwähnte die Wohnung Mansberger. Daraus habe ich geschlossen …“
„Aber wer ist denn nun ermordet worden? Ist überhaupt jemand ermordet worden?“
„Keine Ahnung, vielleicht sollten Sie Frau Wenig fragen?“





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