Freitag, 29. März 2019

Jeder ist seines Glückes Schmied


von Sophie Lange

In den Seniorengruppen ist das Ergänzen von Sprichwörtern beliebt.  Zuerst kommt die Gruppe allerdings nur langsam in Fahrt: „Aller Anfang ist schwer.“ Aber wenn sie sich einmal warmgelaufen haben, dann läuft es. Die Gruppenleiterin fängt an mit dem Glück. „Glück im Spiel …“ Alle ergänzen im Chor: „Pech in der Liebe.“ Was immer das bedeuten mag.

Martha darf jetzt das nächste Sprichwort beginnen und führt zu: „Glück und Glas wie leicht bricht das.“ Doch Manfred tröstet sie: 'Das Glück ist mit die Doofen.' Wenn dich das Glück meidet, gehörst du also nicht zu „die Doofen.“ Und doch: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ und hat sein eigenes Leben in der Hand. Viele Sprichwörter sind aus Lebenserfahrung entstanden und zu Lebensweisheiten geworden. Und so geht es weiter. Jeder weiß etwas. Alle sind überrascht, wie viele Sprichwörter sie kennen. Im Durchschnitt sind jedem Erwachsenen 300 Sprüche geläufig, hat man festgestellt. Kinder kommen immerhin auf 100 Stück.

In manchen Familien wurden die Kinder früher regelrecht mit Sprichwörtern erzogen. Immer fleißig sein, mussten die lieben Kleinen: „Ohne Fleiß kein Preis“ „Erst die Arbeit, dann das Spiel!“ „Ohne Arbeit kein Essen.“ Und überhaupt: „Arbeit macht das Leben süß.“ Doch da kommt ein Einwand „Faulheit stärkt die Glieder!“ Ist auch nicht zu verachten. Verpflichtungen soll man sofort erledigen: „Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute.“ Die Fleißigen und Klugen haben nicht immer den meisten Erfolg: „Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffel“, weiß man in der Gruppe. Trotzdem werden die Kinder ermahnt: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Und auch der Lehrer weiß: „Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir.“

„Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert“, werden die Kleinen zur Sparsamkeit ermahnt. Wie wichtig Ehrlichkeit ist, sagen gleich mehrere Sprichwörter: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er doch die Wahrheit spricht.“ „Lügen haben kurze Beine.“ „Ehrlich währt am längsten.“ Pünktlichkeit wird so erklärt: „Fünf Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit.“ „Ein bisschen zu spät ist viel zu spät.“ „Besser spät als nie!“ Und „Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige.“

Nicht nur Kinder auch Erwachsene werden durch Sprichwörter zurechtgewiesen. Bescheidenheit ist eine Tugend, die jung und alt beherzigen sollen: „Bescheidenheit ist eine Zier.“ Doch die Erfahrung im harten Lebenskampf hat wohl die allgemein bekannte Ergänzung gebracht „ … doch weiter kommt man ohne ihr.“ Aber immerhin: „Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.“ Wer oft über andere tratscht, muss sich sagen lassen: „Ein jeder kehr' vor seiner Tür, es liegt genug Dreck dafür.“ Ordnung ist das halbe Leben: „Halte Ordnung liebe sie, sie erspart dir Zeit und Müh'.“ Das ließe sich jetzt laufend fortsetzen, denn es gibt einige Tausend deutsche Sprichwörter. Der Bonner Dichter und Philologe Karl Simrock (1802-1876) hat einmal gesagt: „Alle Sprichwörter aufzuschreiben ist so wenig möglich, wie die Sterne zu zählen.“

Pünktlich ist die Seniorenstunde zu Ende. „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.“ Doch jetzt heißt es nur noch im Chor:

                                               „Ende gut, alles gut!“


Samstag, 23. März 2019

Es zieht!

Von Sophie Lange

Die Senioren hatten sich zum Gesprächskreis eingefunden. Als nun die Gruppenleiterin eintrat, riss sie zuerst einmal das Fenster weit auf, um frische Luft einzulassen. Ein gemeinsamer Schrei: Es zieht.

Manche Menschen reagieren sehr empfindlich auf einen Luftzug, auch zu Hause. Dabei sind heute Wohnungen und Häuser, besonders die neuen, gut isoliert. In den alten Häusern war das anders. Da zog es aus allen Ecken und Kanten. Immer wieder scholl der Ruf durchs Haus: Es zieht! Diese Aussage, eigentlich nur eine einfache Feststellung, sollte aber auch sagen: Stellt diesen Luftzug bitte sofort ab. So wurden Decken auf die Fensterbank gelegt und Türritzen mit Lumpen abgedichtet. Manches Loch wurde mit Zeitungspapier ausgestopft und trotzdem zog es noch immer wie Hechtsuppe. Von einem Durchzug, wenn Türen und Fenster geöffnet sind, wollen wir gar nicht reden. Für manchen eine Katastrophe und der Anfang einer Erkältung.

Unsere Vorfahren aus der Antike hatten da ganz andere Sorgen. Bei den ersten Häusern war zwar ein Loch in der Mauer, aber das hatte mit einem Fenster wenig zu tun. Es diente vorwiegend dazu, sich aus der Wohnstatt hinaus verteidigen zu können. Erst nach Jahrhunderten wusste man ein Fenster auch als Lichtspender und Kälteschutz zu schätzen. Um sich vor Durchzüge zu schützen, mussten Tierhäute, Pergament oder Leinenstoff dienen. Dass es trotzdem zog, ist verständlich. Aber vielleicht waren die Menschen früher auch abgehärteter als wir heute.

Im alten Rom gab es dann bald auch Fensterglas. Dadurch wurden Fenster natürlich etwas wetterfester. Aber bis zur Doppel- und Dreifachverglasung war noch ein weiter Weg.

Gern erinnern sich noch Menschen aus der letzten Vergangenheit an die Fensterläden, die von außen geschlossen wurden. Farbig gestrichen gaben sie nicht nur dem Haus, besonders den Fachwerkhäusern, ein buntes Bild, sondern schützten auch vor der Kälte der Nacht. Diese Holzläden hatten jedoch auch Nachteile: Das Fensterln wurde dadurch umständlich.

Was es mit dieser bayrischen Tradition auf sich hatte, das ist eine andere Geschichte.

Freitag, 15. März 2019

Im Märzen der Bauer

von Sophie Lange

 Annerose hat das Bild noch genau vor Augen. Da stand der Lehrer vor der Klasse, den Taktstock in der Hand. Alle Kinder, das waren in der kleinen Dorfschule alle Klassen, wussten, was jetzt kam: Singen. Und schon donnerte die sonore Lehrerstimme: „Aufstehen!“ Alle sprangen hoch und stellten sich neben ihre Bank. Dann das nächste Kommando: „Grade stehen!“ Strammstehen wie bei den Soldaten. So kann man besser atmen und hat mehr Kraft in der Stimme. Das war zumindest die Meinung des Lehrers. Es war März und da kam nur ein Lied in Frage. Die Großen schmetterten es laut und kräftig, die Kleinen sangen leise und zaghaft mit:

Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt,

er setzt seine Felder und Wiesen in Stand.

er pflüget den Boden, er egget und sät

und rührt seine Hände früh morgens und spät.

Inzwischen sieht man in den Feldern keinen Bauern mehr mit seinen Rösslein. Selbst in der tiefsten Eifel nicht. Schwere Traktoren ackern durch flurbereinigte großflächige Felder. Kaum noch eine Hecke, kein Strauch steht im Weg. Und kein Vogel weit und breit.  
Annerose ist ein Naturkind. Das sagt sie von sich selbst. Und das bäuerliche Erbe ihrer frühen Vorfahren weckt im März das Verlangen in ihr, irgendetwas zu säen. Jedoch sie hat kein Feld, keine Wiesen, keinen Garten, aber immerhin einen Balkon. Und so hat sie vor Jahren Wildblumensamen in die Kästen eingestreut. Schon bald sprossen kleine Hälmchen aus der Erde. Annerose freute sich auf eine bunte Sommerpracht. Aber was dann kam waren Kratzdisteln, stachelige Pflanzen, immerhin mit winzigen Blüten. Und dann wuchs noch etwas anderes aus dem Wildblumensamen: Kopfsalat. Annerose schwört, dass es genau so war. Knackige Salatköpfe als Wildblumen! Aber im Lauf der nächsten Wochen streckten dann doch einige Blumen ihre Köpfchen aus der Erde: Kornblumen, Klatschmohn, Margeriten, Malven, Glockenblumen, Schlüsselblumen. Aber im Großen und Ganzen war das Ergebnis frustrierend.

Dieses Jahr will Annerose einen neuen Versuch starten. Denn vor Tagen las sie eine Werbung: Balkonkasten – Pflegeleichte Sommerkinder. Eine bunte Wildblumenwiese illustrierte das Angebot. Optimistisch streut sie jetzt zum Frühlingsanfang - am Mittwoch, den 20. März - den Samen aus, dem man ja nicht ansieht, was daraus wächst. Dazu dichtete sie:

Im Märzen die Frauen den Eimer nehmen zur Hand,

sie bringen das Haus und den Garten in Stand.

Sie wischen und wuseln, streuen Blumensamen aus,

später leuchtet's und blüht' s dann rund um das Haus.

Hoffen wir das Beste, liebe Leser.



        


Freitag, 8. März 2019

Schnäppchen mit Folgen


von Sophie Lange

Neulich erzählte ich hier bei den Seniorenstories unter der Überschrift „Einkauf mit Hindernissen“, dass ich jede Menge Katzen- und Hundefutter gekauft hatte, obwohl wir weder das eine noch das andere Haustier besitzen. Aber das war ein Sonderangebot und sooo billig. Bei so einem Schnäppchen muss man doch zugreifen, dachte ich. Aber diese Aktion hat mir im Nachhinein viel Ärger bereitet. Keiner in der Familie hatte Verständnis für meinen skurrilen Spargedanken. Und überall standen die Kartons mit dem Dosenfutter im Weg.

„Schaff das Zeug raus“, lamentierte mein Mann genervt. Aber wohin damit! Irgendwann ein Geistesblitz: Um das Nachbarhaus strich doch immer eine Katze. Etwas später klingelte ich dort, mit einem Karton Katzenfutter in den Händen. Ich erzählte mein Missgeschick und bot das Futter an – für umsonst. Ganz für umsonst! „Das ist nicht unsere Katze“ reagierte die Frau von nebenan unwirsch. „Wenn ich die jetzt füttere, will die sich hier täglich satt fressen. Nee danke.“ Mit einem Knall schlug sie die Türe zu.
Mir kam eine neue Idee. Ich würde im Garten täglich eine Mahlzeit für herumstreunende Katzen und andere Viecher bereitstellen. Doch dieser Vorschlag fand kein Verständnis bei meinen Lieben. „Dann lass uns doch gleich eine Katze anschaffen“, meinte unser Tochter. Anschaffen! Und fügte noch hinzu: „Kätzchen sind ja sooo süß.“ Doch da sprang unser Sohn dazwischen. „Süüüß!? Wir füttern im Winter die Vögel, damit der Stubentiger sie im Frühjahr auffrisst.“ Und mein Mann unterstützte ihn: „Ins Haus kommt mir keine Katze, überall diese Katzenhaare. Und draußen im Garten hat sich bald eine ganze Horde angesiedelt. Nee, nee, bloß keine Katze!“


Ich witterte Morgenluft. „Dann lieber einen Hund“, schlug ich vor. „Und wer soll täglich mit der stets kläffenden Bestie Gassi gehen?“, fragte der Hausherr und warf einen strengen Blick in die Runde. Wie aus einem Mund kam die Antwort: „Ich hab' keine Zeit.“ Also Hund war auch gestrichen.

Ich machte mich wieder auf zur Nachbarschaft. An einem herrschaftlichen Haus klingelte ich. Die hatten bestimmt eine Katze. Und tatsächlich. Eine auf jung getrimmte Dame in einem legeren lila Hausanzug öffnete. Im Arm ein geschecktes Schmusekätzchen. „Süüüß!“, sagte ich und wollte das Fellknäuel streicheln. Die Süße hielt jedoch nichts von Liebkosungen von Fremden, fuhr die niedlichen Krallen aus und knurrte angriffslustig. So ein kleines Biest! Erschrocken wich ich zurück und trug mein Angebot vor: „Katzenfutter, für umsonst. Ganz für umsonst!“ Die 'gnädige Frau' geruhte einen Blick auf eine Dose zu werfen. „So 'nen billigen Fraß mag mein Isabellchen nicht,“ schnatterte sie hoheitsvoll. Und Isabella, die Schöne aller Schönsten, bestätigte ihr Frauchen mit einem piepsenden “Miau!“ Zum zweiten Mal an diesem Tag knallte vor meiner Nase eine Tür zu.

Mit einem Karton Hundefutter sprach ich nun im Park Leute an, die ihren Hund Gassi führten. Doch alle schauten mich voller Argwohn an. Ein älterer Spaziergänger, an der Leine eine struppige Töle, blaffte mich an: „Das ist wohl geklaut!?“ Der Hund, Rasse Hinterhofkreuzung, unterstützte sein Herrchen und bellte mich wütend an. Ein vorwurfsvoller Hundeblick traf mich. Ich machte, dass ich nach Hause kam.

Dort erwartete mich eine Überraschung. Gemeinsam mit unserem Sohnemann lud der Herr des Hauses die ungeliebten Sonderangebote ins Auto. „Ich habe in einem Tierheim angerufen, in dem herrenlose Tiere Asyl finden,“ erklärte der Filius mit stolz gewölbter Brust. „Dort freut man sich über eine Spende.“ Wieso war nicht mir diese Lösung des Problems eingefallen? Mit Kawumm warf ich die verweigerte Ration Hundefutter ins Auto. 

Nun war die Sache ausgestanden. Doch wenn ich jetzt einkaufen fahre, kommt von der Familie im Chor die bange Bitte: „Mach bloß einen weiten Bogen um Schnäppchen jeder Art.“ „Mach' ich,“ verspreche ich und grunze leise vor mich hin … „wenn's auch schwer fällt.“