Freitag, 23. März 2018

Der falsche Heilige


von Sophie Lange
Karl-Josef hat die Angewohnheit, mit seinem Ehering zu spielen, ihn immer wieder rund zu drehen.  Als er das wieder mal will, stutzt er. Und stutzt noch mal. Der Ring ist weg. Das kann doch gar nicht sein. Er trägt ihn immer. Nun überlegt er fieberhaft und ihm fällt ein, dass er heute Morgen seine Hände tüchtig mit der Bürste geschrubbt hat. Hat er da den Ring ausgezogen? Er eilt ins Bad. Doch da ist nichts von einem Ring zu sehen. Da bemerkt er Elisabeth, seine Eheliebste, die mit dem Staubsauger angeschleppt kommt. „Halt, stopp“, schreit er panisch. Und dann gesteht er: „Ich hab' meinen Ring verloren. Bloß nicht saugen!“
Noch ist die Ehefrau ruhig. „Den wirst du im Badezimmer ausgezogen haben.“
„Da habe ich schon geguckt.“
Natürlich genügt es einer Frau nicht, wenn der Mann mal „geguckt“ hat. Und so guckt sie selbst nach, setzt das ganze Badezimmer auf den Kopf, aber nichts.
„Heute Morgen hatte ich ihn noch“, erinnert sich Karl-Josef. Er muss also im Haus sein und ein Haus verliert nichts – das weiß jeder. Jetzt wird es ernst und das ganze Haus wird durchsucht: Schubladen werden durchwühlt, Töpfe und Krüge ausgeschüttet, Ecken ausgeleuchtet, der Schreibtisch aufgeräumt, Couchkissen ausgeschüttelt. Eine Hausdurchsuchung durch die Kripo bei „Verdacht in Verzug“ ist nichts dagegen.
„Da kann nur noch der heilige Antonius helfen“, sind sich beide schließlich einig. Der heilige Tünn, wie er volkstümlich auch genannt wird, hilft immer, wenn man etwas verloren oder verlegt hat, denn er weiß, wo das Verlorene ist. Der Teufel hat es nämlich unter seinem Pferdefuß oder unter der Schwanzquaste versteckt. Und da hat nur ein Heiliger Zugriff. Schließlich findet man durch die Hilfe des Heiligen das verlorene Stück dann dort, wo man schon zigmal „geguckt“ hat.
 Aber zunächst wird der Heilige mit einem Hilferuf angefleht:

O leever Sint Antonius,
du bes ne gode Mann.
Ech han minge Reng verlore;
help du mir widder drann!


Und weiter geht die Sucherei. Doch vergebens.
Nun hilft nur noch eines. „Wir müssen zum „decke Tönnes“ fahren und eine Kerze anzünden.“ Der „decke Tönnes“ ist eine Heiligenfigur in einem Kapellchen bei Bad Münstereifel, mitten im Wald. Dort brennen immer viele Kerzen, und Votivtafeln bescheinigen: „Antonius hat geholfen.“
Schon bald stehen die beiden vor der etwas plump wirkenden Gestalt und zünden eine Kerze an. Ein Mann in Wanderkleidung beobachtet die beiden.
„Ein neues Auto gekauft?“ fragt er leutselig. Die beiden schauen ihn verwirrt an. „Nee, ich haan minge Reng verkrost“, stellt Karl-Josef richtig. „und do soll der decke  Tönnes uns helpe.“
Der Wandersmann lacht schallend. „Da sind sie hier falsch. Hier betet man, wenn man ein neues Auto gekauft hat.“ Nun verstehen die beiden gar nichts mehr. Und der freundliche Herr erklärt oberlehrerhaft, dass es zwei Heilige mit Namen Antonius gibt. Den Antonius von Ägypten und den Antonius von Padua, der Winter-Antonius, mit Festtag am 17. Januar, und der Sommer-Antonius, der am 13. Juni Namenstag feiert. Und der Sommer Antonius, das ist der „Schlampertoni“ der Verlorenes wiederfindet, weil er Abtrünnige bekehrt hat, den Glauben wiederzufinden. Aber der „decke Tönnes“ im Münstereifeler Wald, das ist der Wüsten-Eremit aus Ägypten. Und der hat nichts mit Suchen und Finden zu tun.
„Wieso soll dieser heilige Mann Autos beschützen?“, ist Elisabeth irritiert. „Als Heilige lebten, gab es doch noch gar keine Autos!“ Weibliche Logik.
Da weiß der Mister Oberlehrer auch keine erschöpfende Antwort. „Das hat sich so entwickelt,“ versucht er eine Erklärung. Und dann erzählt er von Schutzheiligen im Allgemeinen und im Besonderen. „Es gibt für alles und für jeden einen speziellen Heiligen. Sogar die Drogendealer haben ihren Schutzpatron, den Jesus Malverde, ein mexikanischer Volksheiliger. Die heilige Barbara wurde längere Zeit hindurch als Schutzpatronin der Prostituierten verehrt. Doch dann hat sie dieses Amt niedergelegt. Sie fürchtete wohl um ihren guten Ruf.“
Karl-Josef hört schon lange nicht mehr zu. Der falsche Heilige! Ihm bricht der kalte Schweiß aus. Er greift in seine Hosentasche, zieht sein Taschentuch raus, putzt hektisch damit über die Stirn.
„Da ist etwas gefallen“, erspäht Elisabeth mit Adleraugen. Karl-Josef sieht zu Boden und dann stößt er einen Schrei aus, der den ganzen riesigen Münstereifeler Wald erzittern lässt. „Dr Reng! Frau! Dr Reng!“
Diese steht starr. Und während der Ehemann den Ring aufhebt, eifrig am Rockärmel poliert und schließlich ehrfurchtsvoll über den Ringfinger streift, faltet die Ehefrau die Hände, kniet sich vor den Heiligen nieder, zündet wieder eine Kerze an und sagt fromm: “Antonius wir danken dir für dieses Wunder.“ Und da zündet sie gleich noch eine weitere Kerze an, für jeden Heiligen eine. Der heilige Antonius hat geholfen  Ob nun der „decke Tönnes“ oder der Schlampertoni, das sollen die Heiligen unter sich ausmachen. Der richtige oder der falsche Heilige, das spielt jetzt keine Rolle mehr.

Dem galanten Heiligenexperten hat es die Sprache verschlagen. Kopfschüttelnd zieht er seines Weges.

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