von Sophie
Lange
Wir wollen ungefähr 100 Jahre zurückschauen, genau in das
Jahr 1923. Dieses Jahr habe ich für meine Geschichte ausgewählt, weil da die Maiennacht
eine Vollmondnacht war, wie jetzt 2018, wo der Mond ebenfalls in der Nacht vom 30.
April auf den 01. Mai seine volle Schönheit zeigt. Vollmond in der
Walpurgisnacht, zwei magische Momente
treffen aufeinander.
Heimlich schleichen sich Maria und Anna, die 15jährigen
Zwillinge, aus dem Haus. Der Mond steht rund und voll am Himmel und wirft sein
fahles Licht in die engen Gassen des kleinen Eifeldorfs, streift an Stallwänden
vorbei, nestelt an winzigen Fachwerkhäusern entlang, zittert in dichten Weißdornhecken.
Geisterhafte Schatten lassen alles unwirklich erscheinen, verzerrt,
geheimnisvoll. Trotz der unheimlichen Stimmung wollen die Mädchen erkunden, was
die Burschen in dieser Nacht vom 30. April auf den 1. Mai treiben, in einer
Nacht, in der die Mädchen nach alter Sitte brav zu Hause bleiben sollen.
Es herrschten raue Sitten 1923 in der Eifel.
Nach alter Tradition ist es für die männliche Jugend eine
Freinacht und so sind geisterhaftes Herumspuken und harmlose Schelmenstreiche
erlaubt. Hinter einer Hecke versteckt beobachten die Mädchen die ersten
Burschen, sogar ihr jüngerer Bruder ist dabei. Mit Holzblöcken verbarrikadieren
sie eine Haustür. Das nächtliche Himmelgestirn spendet ihnen spärliches Licht
dazu. Im nächsten Haus hängen sie das Gartentürchen aus, etwas weiter die
Fensterläden. In der Ziegenscheune, in der die Dorfziegen nach ihrem Weidegang
ihr Nachtlager finden, öffnen sie weit das Scheunentor. „Kommt raus“, locken
sie die Tiere. Aber die lassen sich nicht im Schlaf stören. So ziehen die Burschen
weiter und lassen das Tor weit offen. Irgendwann werden die Tiere schon den Weg
in die Mondnacht finden und dann ist morgen früh großes Suchen angesagt.
Es herrschten raue Sitten 1923 in der Eifel.
Maria und Anna haben genug gesehen von den kindlichen
Streichen der Halbwüchsigen. Der Mond zieht sie magisch weiter, führt sie auf
den Weg zur Dorfschänke, wo die Mädchenversteigerung stattfindet. Die
Junggesellen des Ortes bieten auf die Jungfrauen des Dorfes, mit denen sie dann
als Mailehen (von leihen) zum Maitanz gehen dürfen, und diese vielleicht sogar
für eine lebenslange Verbindung gewinnen. „Nächstes Jahr mit 16 Jahren sind wir
auch dabei“, flüstert Maria ihrer Schwester zu.
Weit sind die Fenster der Gastwirtschaft geöffnet und so
können die Horchenden die Angebote des Scholtes verfolgen: „Kathring,
kratzbürstig und hoffärtig, kott und neuh (böse und geizig) hat aber wat an de
Füß.“
Ein Mädchen, das durch ihre Familien Ackerland besitzt (was
an de Föß hat), ist begehrt. Schon kommen die ersten Angebote. Schließlich
erhält Andreas für 100 Maimark (= 10 Mark) den Zuspruch. Als Bauernsohn weiß
er, wie wichtig Ackerland ist. Da nimmt man friedlose Tage und lieblose Nächte
an der Seite einer griesgrämigen Frau gerne in Kauf.
Es herrschten raue Sitten 1923 in der Eifel.
Mit dem 'biblischen Alter' von 75 Jahren ist Ilse an diesem
Abend die älteste Jungfrau auf der Liste: „Groß und dürr, altmodisch und
rückständig, kann aber gut kochen“, wird sie vorgestellt. Aber keiner bietet
auf das Fräulein und schon kommt der Spottruf: „Ilse, Bilse, keiner will se.“
Sie landet symbolisch unter dem Tisch, wo schon andere Unverkäufliche
gestrandet sind. Vielleicht erbarmt sich zum Schluss ein betagter Schardeng
(Junggeselle), der den ganzen Ramsch großzügig aufkauft, um dann stolz wie
Oskar mit mehreren Jüfferchen beim Maiball aufzulaufen.
Es herrschten raue Sitten 1923 in der Eifel.
Etwas später sind die Burschen auf der Straße. In einer
Scheune haben sie Maien hinterlegt, junge Birken, die sie nachmittags aus dem
Wald geholt haben. Jede unverheiratete Frau der Dorfgemeinschaft bekommt einen
Maien ans Haus gesteckt, damals noch ungeschmückt und ohne bunte Bänder. Doch
nicht jeder Maien ist ein Kompliment, denn es gibt auch einen Schandmaien, Ob
auch dieses Jahr jemand gerügt wird? Tatsächlich, da ist er, der Schandmai. Ein
Zweig von einem wilden Kirschbaum. Heimlich folgen die Mädchen der
Burschengruppe. Der Mond züngelt durch die Gassen. Eine Krähe streift die Köpfe
der Nachtschwärmer, erschreckt schreien sie auf; ein Hund offenbart jaulend dem
hellen Himmelgestirn seine Sehnsüchte.
Da - vor Drückchens (Gertrud) Haus halten die Maijungen an
und stellen den Schandmai vor die
Haustüre. „Was hat die denn angestellt?“, fragt Anna erstaunt. Maria hat etwas
läuten gehört. Drückchen soll die Maiversteigerung als „Viehmarkt“ diffamiert
haben, wo die beste „blöde Kuh“ den höchsten Preis erhält. Die Junggesellen
lassen sich ihr Brauchtum nicht mies machen. Ein blattloser Schandmai ist die
Reaktion.
Es herrschten raue Sitten 1923 in der Eifel.
Maria und Anna beschließen nach Hause zu gehen. Die
Vollmondnacht wird immer unheimlicher, stiller, feiertagsstill. Nur ein
geheimes Raunen liegt in der Luft. Sind die Hexen unterwegs? Immerhin gilt die
Walpurgisnacht auch als Hexennacht. Die Mädchen atmen auf, als sie wieder
sicher zu Hause sind und in ihre Betten kriechen können.
Noch immer gibt es manches Brauchtum in der Eifel in der
Maiennacht: Versteigerungen, Maien stecken, Aufstellen eines Maibaums auf dem
Dorfplatz. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich indes einiges geändert, entschärft,
modernisiert. Nur der Mond ist noch immer derselbe.
Wieder eine gelungene Geschichte und eine gute Vorbereitung auf die erste Mainacht, die heute oft laut mit Musik und Tanz in Großraumhallen aber auch romantisch mit großen Herzen am Haus der Liebsten oder im Rahmen der Emanzipation des Liebsten gefeiert wird. Und in diesem Jahr sogar mit Vollmond🌕
AntwortenLöschenNur spielt das Wetter nicht so ganz mit. Trotzdem kann es romantisch werden.
AntwortenLöschenHier bei mir ist es nicht romantisch sondern rau. Es stürmt entsetzlich.
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