Freitag, 25. Mai 2018

Das Neueste, Teil eins

von Anne Pöttgen

„Das Neueste …“, Margret beugt sich leicht vor, als wollte sie vermeiden, dass man an anderen Tischen mitbekam, was sie zu sagen hatte.
„Erzähl schon.“
„Mach‘s nicht so spannend.“
„Es ist spannend“, Margret betonte jedes einzelne Wort. „In unserer Tiefgarage hat man …“ Schon wieder eine kleine Pause. „Hat man – eine Leiche gefunden.“
Das war wirklich spannend, nämlich – die Todesursache.
„Schlaganfall?“, fragte Johanna.
„Herzinfarkt wahrscheinlich,“ meinte Susanne.
„Mord!“ Ein Wort genügte, um alle sprachlos zu machen. Selbst Irmtraud fand keine Worte, fing sich dann aber und wiegelte ab: „Mord. Nicht hier im Haus am Kirchberg. Und im Übrigen, woher weißt du davon?“
Margret wiegte ihren Kopf, blickte zu Seite und sagte: „Ich höre Vieles, was im Haus passiert.“
„Das ist keine Antwort auf meine Frage,“ Irmtraud sah Margret strafend an. Irmtraud war so etwas wie die Wortführerin der Viererrunde, die sich des Öfteren in der Cafeteria des Hauses traf. Sie konnte sich Strenge im Umgang erlauben.
„Na, ja, ich habe gehört, wie im Sekretariat getuschelt wurde, es fiel auch das Wort ‚Polizei‘“
„Dann könnte es stimmen.“ Susanne war schon fast überzeugt.
Jetzt meldete sich Johanna zu Wort: “Ich bin vorgestern am Sekretariat vorbeigekommen und habe einige Herren herauskommen sehen. Der Geschäftsführer war auch dabei.“
„Polizei. Kriminalbeamte. Jetzt geht’s los.“ Das war Irmtrauds Meinung, klipp und klar.
„Was geht los?“, fragte Susanne.
„Na, was wohl?“ Irmtraud guckte streng. „Ver-hö-re!“
„Wie? Warum? Was meinst du?“, Johanna.
„Irgendwer muss es ja gewesen sein“, Susanne hatte die Situation erfasst. Sie lehnte sich zurück und sah in die Runde, als suchte sie bereits den Täter unter den Kaffee trinkenden netten alten Leuten an den Nebentischen..
„Hier aus dem Haus? Niemals!“ Johanna strich energisch ihre silberweißen Haare nach hinten. „Nein, niemals. Und wir wissen doch auch gar nicht, wie es passiert ist.“
„Mi einem stumpfen Gegenstand, vermute ich mal. Und die gibt es in der Tiefgarage genügend, da hat doch auch der Gärtner seine Werkzeuge.“ Irmtraud.
„Aber es kann doch auch jemand von draußen gewesen sein.“ Johanna.
„Und wie soll der oder die in die Garage gekommen sein? Die ist doch sicher abgeschlossen.“ Margret.
„Von wegen, in die kann jeder rein – muss allerdings erst mal ins Haus kommen.“  Irmtraud, die ihren Mercedes dort stehen hatte.
„Ja, und wie kriegen wir raus, wer’s war?“ Johanna.
„Gar nicht, liebe Johanna. Oder willst du durchs Haus gehen und Leute befragen? Absurd.“ Irmtraud.
„Erst einmal müssen wir erfragen, wer überhaupt ermordet worden ist, dann ergeben sich schon Ansatzpunkte. Ich wohne seit langen Jahren hier im Haus, ich weiß ‚wer mit wem‘ oder ‚wer gegen wen‘.“ Margret. Es war ihr Fall und sie wollte ihn lösen.
Da gab es schon eine erste Schwierigkeit: Wem konnte man das Geheimnis entlocken? Man erfuhr ja nicht einmal, wenn eine Nachbarin krank geworden war und in der Pflegeabteilung verschwand. Erst recht nicht, dass jemand verstorben war. Da musste man sich auf die Kondolenzmappe verlassen, die aber nicht immer komplett war. Und darauf würde man auch in diesem Fall vertrauen müssen. Also wurde die große Lösung vertagt und alle beschlossen, Augen und Ohren offen zu halten. Man wusste ja nicht einmal, wann DAS passiert war.
Tage später. „Hach, ich wusste es doch!“
„Was?“
„In der Mappe – aus dem Leben gerissen! Das kann doch nur heißen: Mord.“ Margret war als Erste in der Cafeteria und stand noch, als Susanne und Irmtraud gemeinsam hereinkamen. Nachdem alle saßen: „Nun sag schon – wer?“, Irmtraud.
„Ich kenne sie nicht. Eine Frau Ullrich.“
„Ich dachte, du kennst hier jeden im Haus. Hast du doch neulich verkündet. Aber – ich kenne sie. Nette bescheidene kleine Person. Witwe natürlich. Die Kinder kommen regelmäßig. Schien alles in Ordnung zu sein.“, Irmtraud wusste auch vieles.
Nun saßen erst einmal alle schweigend da; auch Johanna war eingetrudelt, hatte die letzten Worte noch mitbekommen.
„Bescheidene Person, sagst du? Dann kann es ja kaum um Geld gehen.“ Susanne ergriff das Wort.
„Kann man so nicht sagen, manche hier im Haus treten bescheiden auf, haben aber allerhand auf dem Konto.“ Margret. Sie sah sich in der kleinen Gruppe um und grinste ein wenig. Susanne fragte sich, warum. Sie wusste ja nicht, dass sich ihre Freundinnen immer mal wieder fragten, wieso sie sich die teure Wohnung leisten konnte: drei Räume, Westseite, ganz oben.
Aber ob Frau Ullrich tatsächlich so viel Geld hatte, dass es sich für ein Familienmitglied lohnen würde, sie zu ermorden, das fragten sich alle vier nur still für sich. Einen solchen Verdacht wollte man nicht aussprechen. 
„Tja, irgendein Motiv muss es geben“, Margret blieb dran.
„Könnte ja auch ein Unfall gewesen sein,“ gab Johanna zu bedenken. „Weiß denn jemand, wo genau man sie gefunden hat?“ Auch Johanna kannte die Tiefgarage, sie brauchte allerdings keinen Platz mehr, ihr Auto samt Führerschein waren Vergangenheit.
„Wofür soll das wichtig sein?“, fragte Irmtraud.
„Sie könnte ja ausgerutscht und gestürzt sein und unglücklich irgendwo aufgeschlagen.“ Johanna.
Ja, das konnte sein.
„Kommt denn die Polizei auch bei Unglücksfällen? Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Margret wollte zu gern bei Mord bleiben. Allerdings konnten die vielen Männer, die mit dem Geschäftsführer das Büro verlassen hatten, auch Leute aus der Verwaltung sein, das mussten nicht zwingend Polizeibeamten gewesen sein. Das wussten alle, wollten es aber nicht laut sagen, Polizei war interessanter als einfache Angestellte des Hauses.
„Wer mag sie denn gerufen haben?“ Irmtraud.
„Der oder die, die sie gefunden hat. War vielleicht übereifrig.“ Susanne.
„Das kann man wohl sagen. Da rufe ich doch erst einmal jemand von den Pflegekräften …“
„Oder lieber gleich 112 …“
„Und dann melde ich mich bei der Geschäftsführung …“
„Bringt das ganze Haus in Verruf …“     Ende Teil eins

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.
Beide Links auf der Seite Datenschutz