Freitag, 1. Juni 2018

Das Neueste, Teil zwei

von Anne Pöttgen

„Ob die arme Frau da schon tot war?“, Margret hätte es gern genau gewusst. Vielleicht hatte man ja doch die 112 angerufen. Der Wagen kam so oft zum Haus, dass es gar nicht aufgefallen wäre.
„Schade, dass wir nicht wissen, wer sie gefunden hat. Wen könnte man denn danach fragen?“ Johanna hatte Blut geleckt – im übertragenen Sinne natürlich.
„Das hab‘ ich schon versucht, bin aber abgeblitzt.“ Susanne war recht kleinlaut.
„Und wen hast du gefragt?“, wollte Irmtraud wissen.
„Die Damen an der Rezeption.“ Susanne.
„Das hätte ich dir gleich sagen können, die verraten gar nichts, wissen von gar nichts.“ Johanna überlegte: „Wo hat sie denn gewohnt? Vielleicht wissen die Nachbarn etwas?“
Niemand wusste es. Aber das konnte man klären, es gab an der Rezeption eine Mappe mit Angaben zur Person: Wohnungsnummer, Telefonnummer. Johanna erbot sich, danach zu sehen und machte sich auch gleich auf den Weg. Aber schon ihr schleppender Gang bei der Rückkehr verriet, dass sie keinen Erfolg gehabt hatte. Was war los?
„Flott sind sie, das muss man ihnen lassen: Als hätte es diese arme Frau nie gegeben. Kein Eintrag unter Ullrich.“ Johanna ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken, ergriff die Kuchengabel und tröstete sich mit dem Rest der Champagnertorte.
„Fangen wir ganz von vorne an“, sagte nun Irmtraud. „Machen wir eine Ortsbesichtigung.“
„Ach, ja, vielleicht finden wir noch Blutspuren.“ Margret war begeistert. Ärgerte sich aber doch, dass sie nicht selbst auf diese Idee gekommen war. „Wir brauchen aber Taschenlampen“, ergänzte sie.
Irmtraud hatte eine im Auto, Johanna glaubte auch, eine zu haben. Ob das reichte?
Ortsbesichtigung. Mit dem Vorwand, etwas aus dem Auto von Irmtraud holen zu wollen – falls jemand dumme Fragen stellen sollte. Erst einmal wurden die Geräte besichtigt, die in verschiedenen Ecken der Tiefgarage standen. Nichts. Jedenfalls nichts, was wie Blut aussah. Es sah auch nicht so aus, als hätte man alles abgewischt. Alles ziemlich alt und verschmutzt.
Nun also der Boden. Mittelgang. Zwischen den parkenden Autos. Vielleicht war eines der Autos unterwegs gewesen? Also darunter ausleuchten. Wer? Die Beweglichste: Susanne.
„Siehst du was?“, fragte Johanna.
„Mach es nur ja gründlich, wir dürfen nichts übersehen.“
„Da. Da ist etwas.“ Susanne jubelte.
„Ja was denn? Her damit.“ Irmtraud.
„Ja klar, aber wie? Soll ich etwa drunter kriechen. Nee danke.“ Sie war sauer, dass sie sich nicht gegen die Zumutung gewehrt hatte – aber Irmtraud hatte so eine Art …
„Aber was ist es denn?“, drängelte Johanna.
„Sieht aus wie …“
„Wie?“
„Wie ein Rest vom Flatterband!“
„Vom Flatterband?“
„Ja, du Schaf, vom Flatterband der POLIZEI!“
Ahhh. Der Beweis. Da war etwas gewesen. Sie brauchten das Band gar nicht. Seine Anwesenheit war Beweis genug. Tiefe Befriedigung, vierfach. Wenn der Anlass nicht so traurig gewesen wäre, hätte man einen kleinen Freudentanz vollführt, oder etwas Ähnliches. Aber in letzter Sekunde konnte man sich zurückhalten. Man war Mensch und Dame. Nur Susanne, die bewegliche, setzte an. Brach aber ab, knipste die Taschenlampe aus und lehnte sich gegen den Irmtraud-Mercedes.
Wenn jetzt jemand gesagt hätte „der Fall ist gelöst“, hätte niemand widersprochen. Obwohl …
Man machte sich auf den Weg zurück zur Cafeteria. Neben dem Tresen der Rezeption stand Frau Klarbach, eine Nachbarin von Margret. Sie wedelte mit einem Zeitungsteil.
„Das Neueste“, rief sie und stürzte auf die vier Detektivinnen zu. "Haben Sie schon das Neueste gelesen?"
„Was?“
„Was ist los?“
„Nun reden Sie schon.“
„Was steht denn drin?“
„Lesen Sie selbst“, sagte Frau Klarbach und reichte Margret die Zeitung, den Lokalanzeiger.
„Kommt mit in die Cafeteria, da haben wir mehr Ruhe.“ Margret als die Hauptermittlerin übernahm das Kommando.
Der Lokalanzeiger Erkrath berichtete auf Seite eins:
„Brutaler Mord im Haus K.?
Wie wir aus gut unterrichteter Quelle erfahren, ist in einer Wohnanlage für Senioren in unserem Ort eine Leiche gefunden worden. Die Polizei ermittelt, kann oder will aber bisher nichts zur Tat, zur Tatsituation und zum Opfer verlauten lassen. In welcher Zeit leben wir?“
Da wussten Irmtraud, Johanna, Margret und Susanne schon wesentlich mehr. Aber die einhellige Meinung am Tisch war: Nachforschungen einstellen. Wozu haben wir schließlich die Polizei?

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