von Sophie
Lange
Der Morgen erwacht. Ein erster bleicher Streifen durchbricht
den östlichen Nachthimmel und verheißt einen sonnigen Tag. Am Fluss zieht sich Nebel
zusammen. Er wallt und wogt, senkt und hebt sich, wird licht und wieder dicht,
immer in fließender Bewegung in der Unendlichkeit der Nebelwelt. Und da!
Mittendrin im Nebelfeld regt sich etwas. Eine Gestalt wächst aus den
Nebelschwaden, schwebt über den Boden, tänzelt zum Murmeln des Flusses. Ein
langes weißes Gewand umflutet die gespenstische Figur, lockiges Haar umhüllt
ihr feines Gesicht. Die Erscheinung manifestiert sich, schrumpft zusammen,
taucht auf, taucht unter im feuchten Nebelmeer: Eine weiße Juffer, eine
feenhafte Sagengestalt! Bereits während die ersten Sonnenstrahlen die
Nebelwolke aufsaugen, löst sich das Wesen in Nichts auf.
„Der geisternden Juffern (Jungfrauen) und Frauen gibt es
Tausende im Rheinland“, heißt es bei Franz Peter Kürten 1974 in „Volksleben und
Lande am Rhein.“ Tausende! Da müssten diese uns doch eigentlich jederzeit und
allerorten über den Weg laufen. Doch man bekommt sie höchst selten zu Gesicht,
nur manchmal in sommerschwülen Vollmondnächten oder „vor Tau und Tag“ an diesig
verhangenen Gewässern.
Die Juffern sind die Nachfolgerinnen der Matronen,
Fruchtbarkeits-Göttinnen, die bei Kelten, Germanen und Römern große Verehrung
fanden. Als diese heidnische Religion vom Christentum verdrängt wurde,
flüchteten die Gottheiten in die Sagenwelt, wo sie als Juffern die früheren
Schutzfunktionen der Matronen übernahmen. So hüteten die eher regionalen
Göttinnen vorwiegend die Früchte der Erde. Auf ihrem Schoß halten die würdigen
Damen auf Weihesteinen oftmals Körbe mit Obst. Und auch die Juffern fühlen sich
für das Obst verantwortlich. Von abends bis morgens gehen sie „rund“ durch die
Obstwiesen, damit kein reifes Obst gestohlen wird. Mit einem Vers warnt man
Obstdiebe:
Wenn de wisse Juffer kütt
und dich üvverm Klaue kritt,
mäht se dich mem Obst ze Tütt!
und dich üvverm Klaue kritt,
mäht se dich mem Obst ze Tütt!
(Wenn die weiße Juffer kommt und dich beim Stehlen erwischt,
macht sie dich mit dem Obst zu Kompott.)
Aus Köln stammt folgende Sage (1881), die ebenfalls einen
Bezug zu den Matronen bringt: „Die schlimmsten Spukgeschichten fanden auf der
Hochstraße nahe am Severinstor statt. Dort begegnete dem nächtlichen Wanderer
eine wunderschöne, fast übergroß gewachsene Frauengestalt. Reich gelockt fiel
ihr das Haar, von Perlen und Edelsteinen durchwunden, in den stolzen Nacken,
kostbar und prächtig waren ihre Gewänder. Wehe dem, der sie anredete; zu ihm
wendete sie sich, schloss ihn, ohne ein Wort zu sprechen, an ihre Brust und
verschwand. Wen sie also so umarmt, den traf der Tod nach einigen Tagen. Blieb
aber vorsichtig stumm, dem sie sich als Begleitung zugesellte, dann seufzte sie
tief auf, setzte ihr Tischlein (Opferaltar?) an der Ecke des Büchels zur Erde,
klatschte in die Hände und war verschwunden.“
Eine weiße Frau kann aber auch an eine adlige Dame erinnern,
die im Jenseits nicht ihre ewige Ruhe findet. So geistert im Düsseldorfer
Schloss nachts eine große Frau in weißem Gewand rast- und ruhelos durch die
Hallen. Handelt es sich hier um die Stamm-Mutter des
Altena-Berg-Brandenburgischen Geschlechts? Diese Ahnfrau soll aus dem Geschlecht
der märchenhaften Schwanen-Jungfrauen stammen, und der Raum, in dem sie am
liebsten herum spukt, wird Schwanenzimmer genannt.
Übrigens:
Wer auf solch ein Spukwesen trifft – ob göttlicher oder adliger Herkunft -,
sollte still und „vorsichtig stumm“ bleiben und immer „auf Armeslänge“ Distanz
halten. Und niemals Obst stehlen! Wer möchte schon zu „Tütt“ werden.
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