Freitag, 22. Juni 2018

Wo die "wisse Juffer" spukt


von Sophie Lange

Der Morgen erwacht. Ein erster bleicher Streifen durchbricht den östlichen Nachthimmel und verheißt einen sonnigen Tag. Am Fluss zieht sich Nebel zusammen. Er wallt und wogt, senkt und hebt sich, wird licht und wieder dicht, immer in fließender Bewegung in der Unendlichkeit der Nebelwelt. Und da! Mittendrin im Nebelfeld regt sich etwas. Eine Gestalt wächst aus den Nebelschwaden, schwebt über den Boden, tänzelt zum Murmeln des Flusses. Ein langes weißes Gewand umflutet die gespenstische Figur, lockiges Haar umhüllt ihr feines Gesicht. Die Erscheinung manifestiert sich, schrumpft zusammen, taucht auf, taucht unter im feuchten Nebelmeer: Eine weiße Juffer, eine feenhafte Sagengestalt! Bereits während die ersten Sonnenstrahlen die Nebelwolke aufsaugen, löst sich das Wesen in Nichts auf.  

„Der geisternden Juffern (Jungfrauen) und Frauen gibt es Tausende im Rheinland“, heißt es bei Franz Peter Kürten 1974 in „Volksleben und Lande am Rhein.“ Tausende! Da müssten diese uns doch eigentlich jederzeit und allerorten über den Weg laufen. Doch man bekommt sie höchst selten zu Gesicht, nur manchmal in sommerschwülen Vollmondnächten oder „vor Tau und Tag“ an diesig verhangenen Gewässern.  

Die Juffern sind die Nachfolgerinnen der Matronen, Fruchtbarkeits-Göttinnen, die bei Kelten, Germanen und Römern große Verehrung fanden. Als diese heidnische Religion vom Christentum verdrängt wurde, flüchteten die Gottheiten in die Sagenwelt, wo sie als Juffern die früheren Schutzfunktionen der Matronen übernahmen. So hüteten die eher regionalen Göttinnen vorwiegend die Früchte der Erde. Auf ihrem Schoß halten die würdigen Damen auf Weihesteinen oftmals Körbe mit Obst. Und auch die Juffern fühlen sich für das Obst verantwortlich. Von abends bis morgens gehen sie „rund“ durch die Obstwiesen, damit kein reifes Obst gestohlen wird. Mit einem Vers warnt man Obstdiebe:

Wenn de wisse Juffer kütt
und dich üvverm Klaue kritt,
mäht se dich mem Obst ze Tütt!

(Wenn die weiße Juffer kommt und dich beim Stehlen erwischt, macht sie dich mit dem Obst zu Kompott.)

Aus Köln stammt folgende Sage (1881), die ebenfalls einen Bezug zu den Matronen bringt: „Die schlimmsten Spukgeschichten fanden auf der Hochstraße nahe am Severinstor statt. Dort begegnete dem nächtlichen Wanderer eine wunderschöne, fast übergroß gewachsene Frauengestalt. Reich gelockt fiel ihr das Haar, von Perlen und Edelsteinen durchwunden, in den stolzen Nacken, kostbar und prächtig waren ihre Gewänder. Wehe dem, der sie anredete; zu ihm wendete sie sich, schloss ihn, ohne ein Wort zu sprechen, an ihre Brust und verschwand. Wen sie also so umarmt, den traf der Tod nach einigen Tagen. Blieb aber vorsichtig stumm, dem sie sich als Begleitung zugesellte, dann seufzte sie tief auf, setzte ihr Tischlein (Opferaltar?) an der Ecke des Büchels zur Erde, klatschte in die Hände und war verschwunden.“

Eine weiße Frau kann aber auch an eine adlige Dame erinnern, die im Jenseits nicht ihre ewige Ruhe findet. So geistert im Düsseldorfer Schloss nachts eine große Frau in weißem Gewand rast- und ruhelos durch die Hallen. Handelt es sich hier um die Stamm-Mutter des Altena-Berg-Brandenburgischen Geschlechts? Diese Ahnfrau soll aus dem Geschlecht der märchenhaften Schwanen-Jungfrauen stammen, und der Raum, in dem sie am liebsten herum spukt, wird Schwanenzimmer genannt.

Übrigens:
Wer auf solch ein Spukwesen trifft – ob göttlicher oder adliger Herkunft -, sollte still und „vorsichtig stumm“ bleiben und immer „auf Armeslänge“ Distanz halten. Und niemals Obst stehlen! Wer möchte schon zu „Tütt“ werden.

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