von Sophie
Lange
Es war einmal ein Land, das nannte sich Hippeland. Es muss
ein ärmliches Land gewesen sein, denn es wurde abfällig darüber gesprochen.
Aber wo liegt Hippeland? Oder besser: Wo lag Hippeland?
Keiner weiß etwas Genaues, und jeder sagt etwas anderes. So lokalisieren die
Rechtsrheinischen im Linksrheinischen das mysteriöse Hippeland, für die
Linksrheinischen liegt es rechtsrheinisch. Die Klever vermuten Hippeland
jenseits der Grenze: Holland ist Hippeland. Die Düsseldorfer haben im Stadtteil
Gerresheim ihr Hippeland gefunden; und in Neuss tragen die Einwohner des
Stadtteils Grimlinghausen ihren Spitznamen Hippeland mit Stolz und Würde. Hier
in Neuss erfahren wir denn endlich mal Genaues, denn Hippeland ist da, wo die
Hippen, die Ziegen, leben. Und hier liegen
sogar genaue Zahlenangaben vor: „1816 gab es in Neuss 616 Ziegen; ihre
Zahl stieg bis 1861 auf 2857, wovon 268 auf die Stadt selbst entfielen.“ Ein wahres
Hippeland!
Im Hippeland leben die Hippeländer, komische Käuze,
rückständige, weltfremde Eigenbrötler; das sagen sie nicht von sich selbst, das
sagen die anderen. Ansonsten ist das Land noch voller Hippe, Ziegen, Jeeße oder
wie immer man sie nennen mag. In einem hölzernen Verschlag, der an jedem
Häuschen klebt, ist die Hippe, die Kuh des kleinen Mannes, untergebracht. Eine
Ziege ist sehr genügsam. Sie braucht keine große Weide wie die Kühe im reichen
„Kuhdorf“ sondern findet schon am Wegrand genug Nahrung.
Genau beschrieben haben das die Brüder Grimm im Märchen vom
Tischleindeckdich: „Vor Zeiten war ein Schneider, der drei Söhne hatte und nur
eine einzige Ziege. Aber die Ziege, weil sie alle zusammen mit ihrer Milch
ernährte, musste ihr gutes Futter haben und täglich hinaus zum Weiden geführt
werden.“ Jeden Tag musste einer der Söhne dafür sorgen, dass die Ziege ihr
Futter bekam. Der erste Sohn brachte sie „auf den Kirchhof, wo die schönsten
Kräuter standen.“ Der Zweite suchte an der Gartenhecke einen Platz aus, „wo
lauter gute Kräuter standen.“ Der Dritte „suchte Buschwerk mit dem schönsten
Laube aus und ließ die Ziege daran fressen.“ Der Vater schließlich „brachte sie
zu grünen Hecken und unter Schafrippe und was sonst die Ziegen gerne fressen.“
Dass das boshafte Tier zuerst
behauptet
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt; mäh, mäh“,
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt; mäh, mäh“,
aber später den jeweiligen Hütejungen und sogar den Vater
reinlegt, wissen wir noch aus Kindertagen, denn bei Nachfrage im Stall,
behauptet dieses falsche Viehsch frech:
Wovon sollt ich satt sein?
Ich sprang nur übers Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein; mäh,mäh.
Ich sprang nur übers Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein; mäh,mäh.
Diese Verse sind fast so etwas wie geflügelte Worte geworden.
Mäh, mäh!
Laut dem Buch „Alles Kokolores“ von Peter Honnen gibt bzw.
gab es mehrere Vereine, die Hippeland „als Identität stiftende
Herkunftsbezeichnung“ auf ihre Vereinsfahnen geschrieben haben: „So bezeichnen
sich die 'Neusser Heimatfreunde' selbst als 'Hippeländer', ein Issumer
Hundezuchtverein nennt sich 'Issumer-Hippeland-Hoppers'; es gibt die Karnevalsgesellschaft
„Hüppeländer Jonges', den Bürger- und Kleingartenverein 'Hippeland' in
Gerresheim sowie einen Footballclub mit dem martialischen Namen 'Hippeland
Warriors'.“ Der einstige
Hippeland-Express zwischen Kleve und Xanten wurde 1989 eingestellt.
Damit endete nach 85 Jahren dieser Nordabschnitt des Hippeland-Express durch
das schöne Hippeland.
Es war einmal ein Land, das nannte sich Hippeland. Es war
hier und da, überall und nirgendwo; es war nah und es war fern; es war groß und
es war klein, es war einfach und es war einzigartig und überall hörte man ein
ständiges Mäh, mäh.
Im Hippeland lebten die Hippeländer mit ihren Ziegen,
bescheiden und zufrieden, einfach und glücklich. Und wenn sie nicht gestorben
sind, dann leben sie noch heute – die Hippeländer im Hippeland. Ob mit oder
ohne Ziegen.
Im Ruhrgebiet war die Ziege als Bergmannskuh bekannt und wurde in den Gärten hinter den Zechenhäusern gehalten. Auch heute erfreut sie sich dort noch großer Beliebtheit: Bei den Kleinen im Streichelzoo und bei den Großen als Lieferantin für Ziegenmilch, aus der Käse hergestellt wird, der überbacken an Salatvariationen echt hipp ist. Die Stadt Herne hat der Bergmannskuh sogar ein Denkmal gesetzt. Sie ist vor dem Marienhospital zu bewundern.
AntwortenLöschenDanke, lieber Leselux, für die Info aus dem Ruhrgebiet. So lernt man noch immer etwas dazu. Herne ist damit auch ein Hippeland. Vielleicht gibt es auch anderswo noch ein Hippeland.
AntwortenLöschen